Landschaften des Verfalls

Radikal singulär – und lang: Das B-Movie zeigt Béla Tarrs 436-Minuten-Epos Satanstango  ■ Von Jörg Taszman

Lange Kamerafahrten, langsame Schwenks, ein trübes, grobkörniges Grau und immer wieder Regen. Die Bilderweltwelt des Béla Tarr ist eindeutig und lässt dem Zuschauer wenig Raum. Wer einen 450- minütigen Film wie Satanstango durchsitzt/durchhält, muss sich auf Tarr einlassen, ob er will oder nicht. Tarr erzählt immer weniger Geschichten, er filmt Stimmungen und Landschaften des Verfalls. Auch die Figuren, die in seinen düs-teren Visionen Fleisch werden, Menschen mit Namen wie Karrer (aus Verdammnis, 1987) oder Futaki und Doktor (aus Satans-tango, 1994) werden Teil dieser sich zunehmend zersetzenden Landschaft.

Kein Wunder, dass Béla Tarr wie fast kein anderer das Publikum spaltet. Als sein Satanstango 1994 auf der Berlinale im „Forum“ lief, war das Kino am Morgen gut gefüllt. Im Verlaufe des langen Arbeitstags verließen einige fluchend den Saal. Die übrig blieben, gewiss weit über 200, waren begeistert, berauscht und nahezu völlig unkritisch. Versucht man die sehr spärliche Handlung des Films in Worte zu fassen, klingt dieses Werk fast banal. Irgendwo in der ungarischen Tiefebene, irgendwann in einem verlassenen Dorf warten einige abgewrackte Erwachsene zwischen Tanzen, Saufen und Betrügen auf den Erlöser Irimißs. Anders als bei Tarkowski verkörpert dieser Heiland jedoch keine Hoffnung, auch er bringt Unglück.

Es sind die suggestiven Bilder mit denen Tarr überzeugt. Mag auch alles noch so trostlos klingen, eine gewisse Faszination, manchmal fast Schönheit bleibt. Man kann sich sattsehen und hat dafür auch noch unendlich viel Zeit. Diese Tableaus gewinnen im Schaffen von Béla Tarr immer mehr an Bedeutung. Als der heute 44-Jährige anfing Filme zu machen, standen noch junge Ehepaare, ihre Wohnungsnot und zum Scheitern verurteilte Beziehungen im Vordergrund. Diese Geschichten waren durchaus verankert in einer gewissen ungarischen Realität. Filme wie Verdammnis oder Satanstango haben zwar immer noch dieses typisch Schwermütige, wofür die ungarische Kultur auch steht, könnten jedoch auch ganz woanders spielen.

So ist Tarr in seiner Heimat zwar unter Filmkritikern sehr beliebt, seine Filme jedoch finden in Deutschland mehr Anhänger. Bemüht man das statistische Filmjahrbuch Ungarns aus dem Jahre 1995, so sind dort für Satanstango gerade einmal 843 Zuschauer aufgelistet. 1988 für Verdammnis waren es immerhin noch 18.700. Gerade im Westen liebt man dieses klassisch depressive Osteuropa-Bild. So hat Béla Tarr, der seit Jahren als Gastdozent an der Deutschen Film-und Fernsehakademie lehrt, gerade in Berlin eine richtige Fangemeinde um sich geschart. Vielleicht hat dies jedoch auch mit einer fehlenden Kinotradition in Westdeutschland zu tun.

Während in Frankreich und Italien seit Ende der 60er Jahre Osteuropäer wie der Ungar Miklos Jancsó, der Russe Andrei Tarkowski oder der Georgier Otar Iosseliani große Erfolge feierten, waren ihre Werke im Westen Deutschlands bestenfalls auf dem Forum der Berlinale und in Kommunalen Kinos zu sehen. In der DDR gelangten diese Filme immerhin regulär in die Studiokinos. Alle drei Filmemacher verstanden sich nicht mehr als Geschichtenerzähler, sondern zeichneten sich durch eine elegische, nicht narrative Bildsprache aus. Töne, Musik und Geräusche waren wichtiger als Sprache und Dialog. Rätselhafte Bilder und Enigmen beschäftigten in stundenlangen Diskussionen die Intellektuellen im Osten.

Man muss das Kino Béla Tarrs zunächst durchaus im Kontext dieser osteuropäische Tradition sehen, auch wenn er sich zunehmend davon löst. Wer Tarrs osteuropäischen Vorreiter nicht kennt, lässt sich natürlich von diesem radikalen, singulären Kino viel stärker beeindrucken.

Satanstango: Sa, 30. + So, 31. Oktober , jeweils 14 Uhr (mit zwei längeren Pausen und ungarischem Essen), B-Movie, Brigittenstraße 5, Infos Tel.: 3105867