Inferno und Paradies

■ Gerhard Marcks-Haus zeigt expressionistische Künstlermappen

Die Welt möge doch bald eine andere sein, wünschte sich 1911 der Lyriker Georg Heym. Eine Welt voller Enthusiasmus sollte es sein, platzend vor Emotion, in der das schlechte Alte verbrennt und das neue Ersehnte gedeiht. Heyms Verzweiflung war groß, so groß, dass er in sein Tagebuch schrieb: „Ich hoffe jetzt wenigstens auf einen Krieg“.

Die Hoffnung erfüllte sich, wenn auch anders, als Heym und viele andere avantgardistische Künstler der Vorkriegszeit es sich erträumt hatten. Das totale Inferno brach mit dem ersten Weltkrieg über Europa herein, Millionen Tote, in Verdun und anderswo: Die letzten Tage der Menschheit.

Paradoxerweise „profitierten“ von der Nachkriegsdepression gerade jene Künstler, die zuvor ihr existentielles Leiden am Preußen-Deutschland in Vernichtungsphantasien hatten münden lassen. Denn nicht nur von der Zerstörung des Bestehenden, sondern auch von Quellen, aus denen sich eine bessere Welt speisen könne, wussten René Beeh, Max Pechstein oder Georg Tappert zu erzählen. Expressionistische Kunst, nach 1918 von der Kunstkritik zudem als wertvoll geadelt, erlebte einen Boom. Und die Künstler bedienten einen bildungsbürgerlichen, nach geistiger Orientierung dürstenden Markt mit ihren Arbeiten, die für damalige Verhältnisse reißenden Absatz fanden.

Über 700 graphische Mappenwerke in zum Teil hoher Auflage überschwemmten zu Beginn der 20-er Jahre den Markt, fanden den Weg in Privatsammlungen und führten so für einen Teil der einstigen künstlerischen Vorkriegsavantgarde zu gesellschaftlicher Anerkennung und einem gesicherten finanziellen Auskommen. Vierzehn Mappenwerke aus dieser Zeit hat nun das Gerhard Marcks-Haus in einer sehr schönen Ausstellung zusammen geführt. Ihr verbindendes Moment: Alle orientieren sich an literarischen Vorlagen, dienten zum Teil Verlagen als illustrative Ergänzung zu den Büchern oder wissen sich von mythischen Motiven in Sagen, Robinsonaden und Erzählungen inspiriert.

Ob in der biblischen Geschichte des Absalom, der Ernst Ludwig Kirchner einen siebenteiligen Zyklus widmet, ob in Josef Hegenbarhts pathetischem Kommentar zu Shakespeares „Cäsar“ oder in Max Pechsteins archaisch anmutender Illustration des „Vater unser“ – immer wird das Verlangen dieser Künstlergeneration spürbar, im großen Gefühl, in der Tradition und im religiösen Pathos nach Orientierungspunkten zu suchen. Nicht einmal naivste Südseeträumereien, die das Klischee des guten Wilden über Gebühr strapazieren – besonders augenfällig in zwei stilistisch sehr unterschiedlichen Bilderzyklen von Georg Schrimpf und Artur Bär, die sich beide der damals populären Robinsonade „Van Zantens glückliche Zeit“ annehmen – werden vermieden, um die Vision einer besseren Welt auszuschmücken.

Doch nicht alle gezeigten Arbeiten unterliegen diesem stillen Drang zum Eskapismus. Max Beckmanns sechsteilige Folge „Stadtnacht“ ist ebenso wie Otto Dix' Mappe „Der Krieg“ eine präzise, zum Teil drastische Klage über die Sinnlosigkeit des Krieges und die Abgründigkeit des Lebens in der Großstadt. zott

„Von Paradiesen und Infernos – Expressionistische Bildgeschichten“ ist bis zum 30. Januar 2000 zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (39 Mark). Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr. Infos unter Tel. 32 72 00.