■ Pampuchs Tagebuch: Surfen auf Papier
Es war wohl so vor fünf Jahren, da spazierte ich in den Hertie an der Münchner Freiheit und wurde von einer hübschen Dame angesprochen. Sie erwies sich als Schottin und wollte mir eine Encyclopædia Britannica andrehen. Nun war ich schon stolzer Besitzer eines 25-bändigen Meyers Konversations-Lexikons von 1883, das ich im Prager Frühling in einem Antiquariat für 50 Mark erworben habe. Ich lud die schöne Schottin zu mir ein, zeigte ihr mein Museumsstück und wir plauderten nett. Als sie mir eröffnete, die neue Ausgabe der Britannica koste um die 4.000 Mark, schrak ich zurück. Weil ich aber Feuer gefangen hatte, machte ich ihr ein Angebot: Falls sie mir eine ältere Ausgabe für um die 1.000 Mark besorgen und mir außerdem vernünftig raten könne, wo ich die 31 Bände in meiner Dichterklause unterbringen könne, bestünde die Chance, dass wir handelseins würden. Mit liebevoll ordnender Hand verwies die Schottin mein Meyers in eine Ecke und schuf Platz für eine Britannica von 1985 für 1.200 Mark, die wenige Tage später eintraf. Seitdem lauert sie griffbereit hinter meinem Schreibtisch.
Schon damals lachten mich Freunde wegen meiner eineinhalb Meter Micro- & Macropædia aus. Wie man im Zeitalter von CD-Rom und Internet sich derart belasten könne! Ich tat das als modernistisches Gequatsche ab. Gestern aber hörte ich im Radio, dass die gesamte Encyclopædia Britannica ab sofort im Internet kostenlos abgerufen werden kann, was, wie der Sprecher süffisant bemerkte, dann aber doch nicht ginge, weil wegen der vielen Anfragen das System zusammengebrochen sei. Nachts noch wählte ich mich bei www.eb.com ein. Nichts war zusammengebrochen. Ordentlich tauchte „Encyclopædia Britannica Online“ auf, bloß umsonst ist es nicht. Wer in den vollen Genuss kommen will, muß „subscriben“, den Mädchennamen seiner Mutter angeben und fünf Dollar pro Monat bezahlen. Immerhin hat man gratis Gelegenheit, das Suchsystem ein bisschen auszuprobieren. Spaßeshalber gab ich meinen Namen ein, was immer für eine interessantes Lexikonspiel gut ist. Natürlich kam kein Resultat, aber beim Nachforschen der „ähnlichen Wörter“ habe ich doch gelernt. Leider bietet das Schnupperangebot immer nur die ersten fünf Zeilen des gesamten Eintrags an. So weiß ich nun nicht viel mehr als dass „pampus“ ein ovaler „butterfish“ aus der Familie der Stromateidae ist und dass „Pamphili“ nicht etwa die Zuneigung zu Menschen namens Pampuch bezeichnet, sondern der bürgerliche Name von Papst Innozenz X. (1644 – 1655) ist. Und schließlich erinnerte mich eb.online an jene hübsche Kapelle, die der großartige brasilianische Architekt Oscar Niemeyer in „Pampulha“ am Anfang seiner Karriere bei Belo Horizonte erbaute.
Nicht schlecht für einen Online-Bildungsabend. Doch nach einer Stunde schaltete ich eb.com ab, griff hinter mich, türmte einige der schönen schlanken Bände um mich und drang ein in die wahren Geheimnisse des keineswegs unschuldigen Pamphili, in Niemeyers Lebenswerk, und auch über den Pampero, jene wilden Pampawind in Argentinien habe ich dann noch einiges nachgelesen. Ich bin der guten Britannica-Schottin weiterhin dankbar, ich bereue nichts; eb.com bin ich dankbar, dass sie mich so behutsam wieder an meine Print-Britannica herangeführt haben. Das Schmökern in vielbändigen Lexika ist ja recht eigentlich nur die Frühform des Surfens. Doch hol's der Teufel, ich find es einfach schöner. Aber vielleicht ist da ja auch eine seltene Form der Pamphili. Thomas Pampuch
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