Erde, Ball und Gott sind rund

Gebetsmühlen und Nationalhymnen: Khyentse Norbus Spielfilm „Spiel der Götter“ erzählt den Kampf eines jungen Mönches um die Fernsehübertragung der Fußball-WM 1998 in ein tibetisches Kloster als verwegenes Dribbling und Teamsieg  ■   Von Helmut Merker

Beim Fußball geht es nicht um Tod oder Leben, wie uns immer versichert wird, es geht um mehr. Folgerichtig findet das „Spiel der Götter“ in einem Kloster statt, denn dort beschäftigt man sich von Berufs wegen mit den letzten Dingen. In diesem Fall in einem buddhistischen Kloster aus Tibet im indischen Exil: ein Mönchs-Orden, ein Männer-Bund, eine Mann-Schaft, hierarchisch aufgebaut.

An der Spitze der weise Abt, darunter der Aufseher Geko, schließlich die willigen Schüler – und dann der Einbruch einer anderen Welt. In ihr spiegeln sie sich als milder Präsident, verständnisvoller Trainer, begeisterte Spieler.

Fußball und Religion, beides gibt dem Buthaner Regisseur Khyentse Norbu Gelegenheit zu ein paar politischen Fußtritten gegen China, das Feindesland, das nicht nur den schlechteren Reis bietet, sondern auch eine zweitklassige Nationalmannschaft. Folglich gehören – wenigstens bis zum Finale seines Spielfilms über die Fußballweltmeisterschaft 1998 – die Sympathien Frankreich, weil das immer Tibet unterstützt hat.

Voraussagen des alten Lama sollen Auskunft geben über den Ausgang des Viertelfinalspiels Frankreich gegen Italien. Was man dabei ausdrücklich wünscht: ein günstiges Resultat. Meditatives Gemurmel und Anfeuerungsgesänge, Gebetsmühlen und Nationalhymnen, abgemessen ruhige Bewegungen beim Fegen des Klosterhofes und die fröhliche Lauferei beim Fußballspielen folgen gleichermaßen bestimmten Regeln. Ronaldo sieht aus wie ein Mönch, ist aber Fußballspieler, ein T-Shirt mit seinem Namen aber ist eine Reliquie. Reiszeremonien werden abgehalten, eine Mönchsklause ist mit lauter Fußballbildern verziert und dadurch zum „Schrein“ geworden.

Orgyen (Jamyang Lodro) ist der kleinste, frechste und mutigste der Mönche. Er will die heilige mit der sportlichen Sphäre zusammenbringen und die Spiele der WM im Fernsehen miterleben. „Spiel der Götter“ erzählt, wie mutige Alleingänge in gelungene Kombinationen münden, wie Verstöße gegen bestehende Regeln eine höhere Ordnung herstellen, wie kleine individuelle Tricks neue Kräfte des Kollektivs konstituieren. Orgyen spielt sich in die Rolle des mutigen Mittelstürmers, der sich in gefährliche Strafräume begibt. Bei einer geheimen Rückkehr von einer Fernsehübertragung kommt man ihm auf die Schliche. Es droht ein Platzverweis. Da hilft nur der Vorschlag, ein Fernsehgerät zu mieten und gemeinsam im Kloster das Finale anzuschauen. So kommen Geko (Orgyen Tobgyal) und der Abt (Lama Chonjor) ins Spiel, und durch deren Gespräch öffnet sich das traditionelle System neuen taktischen Spielzügen: Man soll nicht nur mauern, sondern muss selbst den Ball halten. Zuerst das Mittelfeldgeplänkel durch die verwirrende Tatsache hindurch, dass zwei zivilisierte Nationen mit Gewalt und einem Ball um Mitternacht um einen Cup streiten. Geko erklärt das damit, dass Erde, Ball und Gott rund seien. Dann der weite Pass zurück zum Pausentee, dem cup of tea, der die Verbindung zum Siegpreis herstellt. Schließlich der überraschende Schuss aus der Drehung mit der Frage, ob da irgendwo Sex mit im Spiel ist. Gekos souveräne Kopfballabwehr: „Kein Sex.“ Den Ball nimmt der Abt erleichtert auf und lupft ihn sanft zurück: „Woher weißt du denn das alles?“ Gekos Lächeln ist eine bezaubernd gezirkelte elliptische Flanke, im Ansatz rätselhaft, dann hängt sie lange in der Luft, schließlich ist sie fast ein halbes Tor. Zuletzt folgt ein Schnitt, und damit wird dem kleinen Orgyen der Ball wieder zugespielt, aber noch hat er keine freie Schussbahn.

Im Gegenteil, um sich das nötige Geld für die Fernsehermiete zu besorgen, bedarf es ein paar verwegener Dribblings und einiger kleiner Fouls. Als dann die Satellitenschüssel endlich aufgestellt, der Bildschirm auf Sendung und das große Spiel angepfiffen ist, läuft zwar immer noch nicht alles so, wie man es erhofft hat, aber alle weiteren gegnerischen Angriffe werden vom neuen Team-Spirit der Klostergemeinschaft abgewehrt.

Khyentse Norbu ist selbst ein Lama des tibetischen Buddhismus. „Spiel der Götter“ ist sein erster Spielfilm und der erste Spielfilm in tibetischer Sprache überhaupt. Einen schönen Film drehen und eine gute Lektion in Buddhismus geben, tibetische Weisheit und fröhliche Weltlichkeit verbinden ist sein Ziel. Sein kleiner Darsteller Orgyen verfolgt weiterhin seinen Traum, „die erste Nationalmannschaft Tibets aufzubauen“. Mit ihm warten die übrigen Mönche ungeduldig auf die nächste Weltmeisterschaft.

„Spiel der Götter“. Regie: Khyentse Norbu. Mit Orgyen Tobgyal, Neten Chokling, Jamyang Lodro, Lama Chonjor. Bhutan/Australien 1999, 93 Minuten.