Lieber Konsens herstellen als Druck ausüben“

■ Wolfgang Petritsch, Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien, setzt beim Wiederaufbau auf die Eigeninitiative der Bürger. Die Rückkehr der Flüchtlinge hat absolute Priorität

taz: Trotz aller Anstrengungen Ihrer Vorgänger Carl Bildt und Carlos Westendorp ist das Abkommen von Dayton immer noch nicht umgesetzt. Das Land ist faktisch in drei Teile gespalten. Die Rückkehr der Vertriebenen ist nach wie vor nur zum Teil gelungen, das Land leidet unter Korruption, es gibt trotz einer bescheidenen wirtschaftlichen Erholung ungeheure soziale Probleme. Die Politik der internationalen Gemeinschaft hat in den letzten beiden Jahren stagniert. Was will der Österreicher Wolfgang Petritsch jetzt anders machen?

Wolfgang Petritsch: Sicherlich, Bosnien-Herzegowina ist immer noch kein normaler Staat. Aber der Wiederaufbau des Landes ist fortgeschritten, dies ist sicher auch ein Verdienst der internationalen Gemeinschaft. Die Infrastruktur ist wieder in Stand gesetzt, die Menschen können friedlich leben. Aber wir müssen auch sehen, dass die alten, durch die Krieg geschaffenen politischen Strukturen leider immer noch existieren. Es geht jetzt darum, neue Strukturen zu schaffen. Wir werden den Menschen sagen, dies ist euer Land, ihr müsst euer Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir wollen das Selbstbewusstsein der Bürger stärken.

Das haben ihre Vorgänger auch versprochen. Wie wollen Sie jetzt konkret vorwärts kommen?

Meine Präferenz ist der zivile Weg, ich möchte als Demokrat lieber den Konsens herstellen, als Druck auszuüben. Es wäre besser, wenn die Bosnier selbst erkennen würden, dass sie ihren eigenen Teil zu diesem Prozess beitragen sollen. Ich möchte den Menschen klar machen, dass wegen der Korruption ihr Geld veruntreut wird, das dann fehlt, um ihren Bedürfnissen entgegenzukommen. Ich möchte das Verantwortungsbewusstsein stärken. Wenn aber die Entwicklung weiter blockiert wird, bleibt uns das Instrument des Dekrets. Wir wollen die Vertriebenen zurückkehren lassen, die Eigentumsrechte klarstellen und eine Wirtschaftsreform durchsetzen.

Es geht also darum, die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen herzustellen. Da wird es jetzt ein Paket geben. Das wird ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen sein. Damit werden wir der Rückkehr einen wichtigen Impuls verleihen, weil wir sie nicht mehr von den politischen Entscheidungsträgern abhängig machen, sondern von der Verwaltung. Wir werden auch nicht mehr dulden, dass Wohnungen, die ehemals dem Staat, der Gemeinde oder den Industriebetrieben gehörten, jetzt von Personen, die nicht dazu berechtigt sind, bewohnt oder anders genutzt werden.

In der Frage der Rückkehr soll der gordische Knoten durchgehauen werden. Ohne Machtmittel geht das aber nicht.

Wir brauchen eine Kombination aller Mittel. Es wird in Zukunft nötig sein, auch Machtmittel einzusetzen, so in der Frage der Kriegsverbrecher. Wir wollen aber vor allem die kritische Masse von Menschen und Institutionen, die unseren Kurs unterstützen, so entwickeln, dass die radikalen Kräfte eingegrenzt werden. Wir müssen auch eine effektive Privatisierung durchführen und wirtschaftliche Konkurrenz schaffen. Man muss die Wirtschaft über das Instrument des Stabilitätspaktes in die Region einbinden. Die Wirtschaft kann ein Hebel für die Erneuerung der Gesellschaft sein. Wir müssen die Politiker vor die Entscheidung stellen, Direktor eines staatlichen Betriebes zu sein oder in der Politik zu bleiben, beides zusammen geht nicht. Ich werde also noch in dieser Woche eine Entscheidung treffen, die Gesetzeskraft hat in bezug auf die Rückkehr zuerst nach Sarajevo, Banja Luka und Mostar. Wenn ich schon die Macht einsetzen muss, dann möchte ich sie so handhaben, dass sie einen strategischen Effekt erzielt. Mit der Rückkehr wird die multikulturelle Gesellschaft ansatzweise wiederhergestellt, werden Bürgerrechte und Eigentumsrechte durchgesetzt. Was ich will, ist, dass die Menschen, die um ihre Rechte kämpfen, einen Anspruch haben und dann ihre Rechte und Wünsche auch durchsetzen können. Interview: Erich Rathfelder