piwik no script img

Oh Rom, Craxi ante portas

■ In Italien üben sich Politiker wieder in den hässlichen Gepflogenheiten der alten Zeiten

Rom (taz) – Kein Tag ohne gute Nachricht für Italiens Politikerkaste. Nachdem in kurzer Zeit gleich zwei Gerichte den wegen mutmaßlicher Mafia-Verbindungen angeklagten siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti freigesprochen hatten und vor zwei Tagen auch die Verjährungsfrist für einige Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi zur Last gelegte Vergehen eingetreten ist, ereilte die Nation eine weitere „gute Nachricht“: Der rechtskräftig zu über sieben Jahren Gefängnis verurteilte ehemalige Chef der Sozialisten und zweimalige Ministerpräsident Bettino Craxi soll unbehelligt aus dem tunesischen Exil heimkehren dürfen. Anlass: seine Diabetes, aufgrund deren er vor einigen Tagen einen schweren Kreislaufkollaps erlitten hatte und in ein tunesisches Militärlazarett gebracht wurde.

Italien reibt sich die Augen: Eine derart massive Rückkehr zu den Gepflogenheiten der „Ersten Republik“, die auf meist verschlungenen Wegen durchwegs allen Politikern Straffreiheit garantiert hatte, konnte niemand erwarten. Während des Aufbruchs der frühen 90er-Jahre galt Italien lange Zeit als Vorzeigeland in Sachen Kampf gegen Verbrechen und Korruption. Eine neue Führungselite schien heranzureifen, die nicht mehr von der Sucht nach dem Einstreichen gigantischer Schmiergelder bestimmt wurde.

Doch gerade die neuen Machtinhaber scheinen nun besonders an der Rückkehr zu den alten Verhältnissen interessiert: Kein Protest gegen die Verjährung der Politikertaten kommt aus dem Mund der Linken und Moderaten, und für eine Rückkehr Craxis ohne Gefängnisgefahr hat sich sowohl der Chef der Mitte-links-Regierung, Massimo D'Alema, wie der Parteichef der Linksdemokraten, Walter Veltroni, ausgesprochen. Selbst die Staatsanwaltschaft Mailand, bisher eher als Politikerfresser bekannt, hat sofort einer Aussetzung der Strafe „aus humanitären Gründen“ zugestimmt.

Einzige Ausnahme in dem Chor der Politiker-Willfährigen: Antonio Di Pietro, bereits legendär gewordener vormaliger Chefermittler in Sachen Korruption, inzwischen Senator und Führungsfigur der Koalitionspartei „Democratici“, fordert unnachsichtig „die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes auch für Politiker“; danach müsste Craxi bei seiner Rückkehr „in jedem Falle erst einmal ins Gefängnis, danach würde sein Gesundheitszustand überprüft, und erst danach käme eine zeitweilige Haftverschonung in Frage“. Die aus ihren juristischen Unbillen befreiten Politiker wollen freilich gleich noch mehr: Craxi fordert eine Annullierung all seiner Strafen, Berlusconi schilt die Gerichte, weil er wegen der Verjährung angeblich seine „Unschuld“ nicht mehr beweisen kann, und Andreotti schreibt reihenweise Anzeigen gegen Zeugen, die in seinem Prozess gegen ihn ausgesagt hatten.

Werner Raith

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen