Östliche Weisheit für westliches Wohnen

Die chinesische Raumlehre Feng Shui: Schöner Wohnen à la New Age oder die Suche nach dem Genius Loci?  ■   Von Ole Schulz

Eine Feng-Shui-Beraterin zu mir nach Hause einzuladen, hatte ich mich nicht getraut: in ein ehemals besetztes Haus mit einer ziemlich maroden Bausubstanz – der abfallende Stuck hat schon seine Opfer gefordert – und mit einem Grundriss ohne Flure, der sich ohnehin kaum verändern lässt. Wenn man die Zimmertür öffnet, fällt man vom Hausflur gleich mitten rein in eine Junggesellenbuchte mit Ofen – das hätte das Feng-Shui-Regelwerk bestimmt ganz schön durcheinander gebracht. Am Ende wäre mir noch geraten worden, meinen Schreibtisch von der Wand neben dem Ofen wegzuräumen – aus der einzigen Ecke, die ich im Winter warm kriege. Und das alles nur, weil ich direkt auf die Wand schaue. Lieber nicht.

Also bitte ich die Feng-Shui-Beraterin Carola Giese, ob sie nicht meinen Arbeitsplatz bei der taz einmal begutachten könnte, im Großraumbüro bei den Kleinanzeigen, wo ich gerade im Winter gerne sitze. Und netterweise kommt sie kurz darauf, ohne dass sie ein Honorar bekommt und obwohl sie im vierten Monat schwanger ist. Was Carola Giese erzählt, klingt nach einer sympathischen, recht undogmatischen Interpretation der Raumlehre aus Fernost: Wichtiger, als vorgegebene Regeln penibel einzuhalten, sei es, in „Harmonie mit seiner Umgebung zu leben“. Ausgangspunkt für Feng Shui ist nicht ein analytisches, „auseinander nehmendes“ Weltbild, wie wir es gewohnt sind, sondern eher eine „zusammensetzende“ Denkweise.

Und wer auch nur mal flüchtig in ein Feng-Shui-Handbuch geschaut hat, der weiß, wie komplex die jahrtausendealte Tradition des chinesischen Feng Shui ist: Die Lehre, die eng mit dem Taoismus und der Yin-und-Yang-Gleichgewichts-Lehre verbunden ist, glaubt an eine so alles durchdringende wie unsichtbare Lebensenergie namens Qi. Aber auch Astrologie, Astronomie, Geologie, Wetterkunde und Ökologie gehören zum philosophischen Gerüst dazu.

Feng Shui, was so viel wie Wind und Wasser heißt, ist vermutlich heute im Westen weiter verbreitet als in seiner Heimat, wo die Kommunistische Partei die Lehre schon 1949 verboten hat. Bei uns erscheinen stattdessen neuerdings Lehrbücher mit geschmacklosen Titeln wie „Östliche Weisheit für westliches Wohnen“. Was die einen als „Schöner Wohnen à la New Age“ verspötteln, ist für andere „die Kunst des richtigen Platzierens“ oder mit der Suche nach dem „Genius Loci“, dem Ort des Geistes, vergleichbar.

Eine Feng-Shui-Beratung beginnt gewöhnlich damit, dass mit dem Luo pan, einem chinesischen Kompass, die Ausrichtung und das Herzstück der Wohnung ermittelt wird. Dann wird alles begutachtet, was die Räumlichkeiten so ausmacht: Zuschnitt, Möbel, Farben, Materialien, Strom- und Wasserquellen. Zuletzt wird nach dem Geburtsdatum gefragt, ein bisschen gerechnet, und schließlich werden Vorschläge zur Abhilfe von Problemzonen präsentiert.

Weil sie sich zu Hause unwohl fühlen, von Kopfschmerzen geplagt werden oder einfach schlecht schlafen, versuchen inzwischen viele ihre Wohung im Sinne von Feng Shui umzukrempeln. Und dass ein solch schlechtes Karma in den eigenen vier Wänden auch etwas mit den Farben und Formen, Materialien und Gegenständen, mit denen man sich umgibt, zu tun hat, lässt sich kaum bestreiten.

Umstritten ist dagegen, ob es so etwas wie Qi tatsächlich gibt. Es mehren sich aber Untersuchungen, die zeigen, dass zumindest Akupunktur und die Bewegungslehre Qi Gong bei vielen Beschwerden helfen. Und fest steht, dass auch diese beiden anderen chinesischen Heilverfahren von der Existenz des Qi ausgehen.

In Hongkong, wo anders als in China, Feng Shui überlebt hat, treibt die Lehre immer noch recht seltsame Blüten: So werden nachträglich große Löcher in bereits fertige Neubauten geschlagen, um dem Drachen, aus dessen Atem das kosmische Qi strömen soll, das Durchfliegen zu ermöglichen.

Eins zu eins übertragen lasse sich die fernöstliche Lehre auf unsere Lebensweise aber nicht, meint Giese. Vor einigen hundert Jahren hätten die chinesischen Feng-Shui-Meister ja auch noch nichts mit Elektrosmog zu tun gehabt. Darum hat sie gleich ein Messgerät für elektromagnetische Strahlung mitgebracht. „Grundkenntnisse in Baubiologie sind heute unverzichtbar.“

Typisch für die westliche Rezeption sei, meint Giese, dass nach einfachen, plakativen Lösungen gesucht werde – darum ist es hierzulande auch so populär, mit Hilfe des Baguas, einer Art Landkarte der Energieströme mit neun Feldern, die Wohnung in einzelne Bereiche einzuteilen – von Karriere bis Partnerschaft. Dagegen guckt Giese lieber, wo sich ganz praktisch das Wohn- oder Arbeitsumfeld ändern lässt – möglichst so, dass es erlebbar ist. „Feng Shui ist kein Geheimwissen, mit dem man andere ängstigen soll.“

Ein typisches – und nicht allzu schwer lösbares – Problem ist es, so Giese, dass die Lebensenergie Qi wegen des Durchzugs zwischen Fenster und Tür flugs ausströmt, statt sanft den Raum auszufüllen, bevor sie wieder entfleucht. Daher solle man zuerst Fenster und Tür abdichten. Aber auch Windspiele oder Kristalle zählen zu den klassischen Accessoires, um den Qi-Sturm ein wenig zu bändigen. Fast immer gut (außer im Schlafzimmer) sind Wasserspiele oder Aquarien – denn Wasser steht für Energie und Reichtum. Ebenso günstig sind frische Blumen und Grünpflanzen, weil sie das Qi erneuern – spitze Blätter sind aber zu vermeiden wie überhaupt scharfe Kanten, zackige Formen und „angreifende Ecken“.

Mein Arbeitsplatz kommt bei Gieses Inspektion gar nicht so schlecht weg: Zwar sitze ich ungeschützt mit dem Rücken zur Tür gewandt, aber dafür hätte ich eine offene Perspektive durch die breite Glasfront zur Straße hin. Weil man aber vom Schreibtisch aus stets die Tür im Auge behalten sollte, rät sie, einen Spiegel vor mir aufzustellen, um stets verfolgen zu können, was hinter meinem Rücken passiert. Ein größeres Problem sei indes die Unordnung auf dem Schreibtisch, Sauberkeit und Ordnung seien auch im Feng Shui wichtige Regeln. „Damit sich das Auge Orientierung schaffen kann und der Geist Ruhe findet.“

Und bei mir zu Hause? Vielleicht sollte ich doch einen Zettel in das Gemeinschaftsklo auf dem Treppenabsatz hängen: „Bitte den Klodeckel schließen!“ Damit die Energie nicht einfach abzieht. Man weiß ja nie.

Feng-Shui-Beratung von Carola Giese Tel. 3 92 46 30. Bei den Gesundheitstagen gibt es Vorträge zum Thema am Sa., 13. 11., 12 bis 13.30, und am So., 14. 11., 14 bis 15.30 Uhr.