Alpine, Texas

Filmische Fotos: Die Hamburg-Stipendiatin Jeanne Faust in der Galerie Karin Günther  ■ Von Ludwig Seyfarth

Eine Landstraße. Die Hitze des Tages lässt die Szenerie dunstig verschwimmen. Ein Auto fährt heran, bleibt stehen. Eine Geräuschkulisse ist zu vernehmen. Was geschieht? Eigentlich nichts. Die Wagentür wird geöffnet, man hört Musik aus dem Autoradio. Ein Mann steigt aus, streift seine Jacke ab, steigt wieder ein. Der Wagen fährt weiter. – Ebenso alltäglich wie bei diesem Video wirken auch die Motive der mittel- bis großformatigen Fotos. Ein Mann verlässt einen Laden, schaut sich um. Vor einer Tankstelle steht eine Gruppe Jugendlicher, ihnen gegenüber, mit dem Rücken zum Betrachter, ein Einzelner mit nacktem Oberkörper. Seine Gestik ist auffällig. Er hält die Arme, als ob er gleich losschießen möchte. Auf einem anderen Foto sehen wir offensichtlich denselben jungen Mann, in Großaufnahme von vorn.

In den Fotos finden sich typisch filmische Techniken: Totale, Close up, Schnitt, Gegenschnitt. Die Location all dieser Bilder ist Alpine. In diesem verlassenen Nest, 70 Meilen von der mexikanischen Grenze entfernt, hat Jeanne Faust für einige Wochen gelebt. Es war ihr erster Aufenthalt in Amerika. Schon vorher besaß sie klare Vorstellungen davon, wie es hier aussehen würde. Schließlich vermitteln unzählige Filme ein mehr oder weniger deutliches Bild der USA. Die Gegend, die Jeanne Faust vor Augen zu stehen schien, war Texas. Sie suchte sich dort einen möglichst typischen Ort aus. Was sie schließlich fand, überraschte sie wenig. So ist Amerika.

Obwohl in Alpine nicht viel passiert, kamen ihr bei den wenig abwechslungsreichen alltäglichen Begebenheiten immer wieder Filmszenen in den Sinn. Sie verfasste kleine Drehbücher, die sie ihren Fotos zu Grunde legte. Solche Storyboards dienen ihr zur Inspiration der eigenen Arbeit, aber sie stellt sie nicht mit aus.

Mit einer Ausnahme (ihrem Freund) sind alle Darsteller auf den Bildern Bewohner von Alpine. Die Künstlichkeit des Arrangements wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Hier besteht ein deutlicher Unterschied etwa zu Jeff Wall, der das Inszenierte seiner kunsthis-torisch gesättigten Fotos bewusst herausstellt. Jeanne Faust hingegen überspielt, bei aller handwerklicher Perfektion, den Aufwand der Vorbereitung – zugunsten der scheinbaren Selbstverständlichkeit, fast Banalität, der Situation.

Die Ausstellung ist eine doppelte Premiere: Die erste Einzelschau der Künstlerin ist die Eröffnungsausstellung der Galerie Karin Günther. Die Galeristin hat sich bislang vor allem als Kuratorin mehrerer größerer Ausstellungen einen Namen gemacht. Ihr Programm konzentriert sich auf „junge Positionen“ der gegenwärtigen Szene, wobei sie sich besonders für Künstler interessiert, deren Arbeit zwischen den traditionellen Gattungen oszillieren. Dies gilt auch für die aktuelle Hamburger Arbeitsstipendiatin Jeanne Faust, die sich im „Filmischen“ bewegt, aber vor allem fotografiert.

An der HfbK in Hamburg studierte sie sowohl im Filmbereich als auch in der Freien Kunst. Arbeiten von ihr waren schon im Rahmen von fast forward im Kunstverein und in der Ausstellung Nur Wasser lässt sich leichter schneiden in Neumühlen zu sehen. In ihren früheren Fotos agierte sie selbst als Darstellerin, zusammen mit Kind und Lebensgefährten. Eine gemeinsame Mahlzeit, Urlaub im Campingwagen: Die Situationen waren auch hier schon bewusst banal gewählt. Jeanne Faust spürt auf, wie sich Wahrnehmungsmuster und Klischees aus dem Film und anderen Medien in die unscheinbarsten Nischen des Alltags einschleichen. Dass sie solche Prägungen nicht ostentativ vorführt, sondern in einem ebenso leichten wie leisen Spiel mit Realität und Fiktion, unterscheidet ihre Herangehensweise von älteren Formen inszenierter Fotografie.

Wie bei vielen der jetzt um 30jährigen Künstler geht Jeanne Faust von der spielerischen Beobachtung eigener Erlebnisse aus. Sie ist keine „Medientheoretikerin“ wie Wall oder Dan Graham, sondern sucht die Spuren größerer Zusammenhänge erst einmal vor der eigenen Tür. Das kann zuhause in Hamburg sein, aber auch in Alpine, Texas.

Galerie Karin Günther, Admiralitätstr. 71, noch Sonnabend 12 - 14 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung % 37 50 34 50