Ein tölva, der kein völva ist

■ Bei den Isländern ist der Computer eine Frau und hat irritierende Namen. Denn wahrsagen kann der PC mitnichten, einen plagen dafür nur allzu gut

Computer heißt auf Isländisch tölva: Das ist kombiniert aus „telja“ für „rechnen“ und „völva“ für „Wahrsagerin“. Wer mir das erzählt hat, weiß ich nicht mehr. Aber die Folge war, dass mein Computer mir plötzlich weiblich schien und ich mich seither über den isländischen Technikoptimismus wundere.

Denn meine Compute ist eine berechnende Fehleransagerin. Oder was habe ich mit „Fehlermeldung: Knurps 42 xyz Plopp aiaiai“ anzufangen? Wahrscheinlich lautete die Auskunft, die in dem kleinen Fenster erschien, anders. Ich werde es nie erfahren, denn ich habe noch nie zwei gleichlautende Fehlermeldungen gesehen, und davon, dass ich auf „OK“ klickte, ging die Fehlermeldung nicht weg, deshalb habe ich die Compute ausgemacht, ohne mir die Fehlermeldung zu merken. Dann bin ich zum Weinen in die Küche gegangen, denn vom Ausmachen ging auch das letzte Kapitel meiner Magisterarbeit weg.

Es gehört bekanntermaßen zum Wesen der Fehlermeldung, dass sie uns zwingt, sie mit „OK“ zu bestätigen, auch wenn davon nichts besser wird. Das ist, als wenn der Kanzler „Wir haben verstanden“ sagt, wenn die SPD eine Wahl verloren hat. Suggestive Berechnung: Im Menü ist nichts anderes als Abnicken vorgesehen, aber man schaufelt automatisch Verantwortung zu sich rüber, weil man sein Schicksal abnicken muss. Mit dem Unterschied, dass der Kanzler seine Genossen zu Hilfe rufen kann, wenn er nichts verstanden hat.

Ich dagegen bin allein mit meiner Compute. Sie hat alle meine Freunde weggezaubert, die mir schon vor Jahren erklären wollten, wie das mit dem Zentraldokument und dem Inhaltsverzeichnis geht. „Das ist unheimlich sinnvoll bei langen Texten“, rief J. immer ekstatisch. „Du behältst dann den Überblick.“ Aber Zeitungsartikel sind keine langen Texte. Wahrscheinlich war die Magisterarbeit überhaupt das einzige lange Dokument, über das ich je Überblick gebrauchen konnte. Jetzt ist es zu spät, denn die Funktion „Zentraldokument“ hat den Überblick übernommen und beschlossen, die Kapitel zentral zu verwalten und also umzustellen. Ich werde mich fügen.

In Wirklichkeit bin ich die Haussklavin meiner Compute. Meine Ehrerbietung kennt vielerlei Ausdruck und beginnt mit dem morgendlichen Hygienedienst. Dann räume ich den Kragen des Monitors frei und putze ihm Hals und Gesicht. Auch die Tastatur muss auf staubfreiem Untergrund liegen, nicht auf einem unebenen, schwankenden Stapel Papiers. Die Festplatte steht auf sorgsam umsaugten Füßchen und muss sich den Platz auf den Dielen allenfalls mit meinen Pantoffeln, nie mit dem Mülleimer oder anderem Gerumse teilen.

Indem ich solchermaßen ihre Herrschaft über den Luftraum ober- und unterhalb der Schreibtischplatte rituell bestätige, stimme ich die Compute manchmal milde. Jedenfalls, wenn ich meinen Rückzug aus dem Kampf mit der Magisterarbeit geordnet unternehme. Huldvoll ihr Entlassungsgruß Orange auf schwarzem Samt: „Sie können den Computer jetzt ausschalten.“ Dankbar schlage ich die Augen nieder. Ulla Wohlwill