Arbeiten an der Gewalt des Augenblicks

Welcome to the next level“: Die japanische Performance-Gruppe Dump Type bombardiert den Zuschauer schmerzhaft mit visuellen, akustischen und elektronischen Daten und spricht doch von der Schönheit des Informationszeitalters  ■   Von Christiane Kühl

Das letzte Bild Teiji Furuhashis ist eines des Verschwindens. Stets ist er dort, wo der Betrachter ist, und stets fällt er rückwärts, quälend langsam ins körperlose Schwarz des Zweidimensionalen. „Lovers (Dying Pictures, Loving Pictures)“ heißt die 1994 entstandene Videoinstallation des Japaners, die den Betrachter mit Projektionen lebensgroßer nackter Menschen in ruhiger Bewegung umgibt. Tritt er ihnen zu nahe, generiert eine Lichtschranke das Bild des verschwindenden Künstlers. „Don't fuck with me, fellah, use your imagination“, empfiehlt der Diaprojektor. Das war ein Jahr, bevor der 35-Jährige an Aids starb. In Kyoto sorgten seine Freunde für ein buddhistisches Begräbnis mit Sutra-Gesängen und Barbra-Streisand-Songs; in New York kaufte das Museum of Modern Art „Lovers“ für seine Permanent Collection und sorgte für vorläufige elektronische Ewigkeit.

1984 hatte Teiji Furuhashi sieben wunderbare Videos über einen einfältigen Mann, einen „dump type“, gedreht. Noch im selben Jahr gründete er mit Kommilitonen der Kunsthochschule von Kyoto unter diesem Namen eine Performance-Gruppe, die bis heute zu den einflussreichsten Japans zählt. „Dump Type“ ist ein Zusammenschluss von Videodesignern, Programmierern, Choreographen, Tänzern, Architekten und Musikern, deren Arbeiten weniger multimedial als intermedial zu nennen sind: Statt des Nebeneinanders der Disziplinen interessieren sie ihre Verbindungen, die neuralgischen Punkte, die Impulse geben. Und weil Netze keine Hierarchien kennen, arbeitet Dump Type als Kollektiv. „Es sind nicht immer alle gleich“, erläutert Shiro Takatani, seit 1984 als Visual Designer dabei, „aber wir suchen Harmonie.“

Im Ergebnis dieses Prozesses ist von Harmonie nichts zu spüren. Dump-Type-Auftritte sind Angriffe auf die Sinne. „Turn down the volume!“, schrie jemand in einem Moment des akustischen Atemholens bei der deutschen Erstaufführung ihres neuen Work-in-progress „MemoRandum“ (koproduziert vom dortigen Haus der Kulturen der Welt) vorgestern in Berlin, aber das Ausreizen der Medien an den Punkt der Unerträglichkeit gehört zum Konzept. Dump Type potenziert die Überforderung durch die mediale Umwelt über die Schmerzgrenze, ohne in Kulturkritik zu verfallen: Es dominiert ein unerklärliches, aber erfahrbares Eingeständnis der Schönheit des Informationszeitalters. Mag sein, dass wir in Daten ertrinken – aber wir werden sexy untergehen.

„MemoRandum“ ist ein Stück über das Gedächtnis und gleichzeitig die Frage nach seinen Möglichkeiten. Können wir uns noch vorstellen, wie Erinnerung vor der Fotografie funktionierte? Wann wird man Gehirne scannen können? Memory, sagt Takatani, ist ein nostalgischer Begriff, besetzt mit Kindheit, aber er steht im Englischen wie im Japanischen genauso für Computerspeicherkapazität. Die funktioniert, weil sie keine Emotionen kennt. Unser Gedächtnis ist nicht zeitgemäß.

Die gesamte Rückwand der Bühne ist eine Leinwand, bespielt von vier Videoprojektoren. Mal ein einziges Bild ergebend, mal vier, mal zwölf fragmentierte, werden hier Bilder mit einer Geschwindigkeit projiziert, die es nicht erlaubt, sie im Fluss wahrzunehmen. Verkehr, Meer, Computeroberflächen, Testbilder und immer wieder rhythmisierende Störbilder bombardieren die Netzhaut, während kongruentes Fiepen und Rauschen die Ohren sprengt. Dann ein ruhiger Tanz zu japanischer Barmusik, später ein rauchender Mann in einem Hotelzimmer, dessen mögliche Zukunft oder Vergangenheit parallel in vier Videovarianten gezeigt wird. „Welcome to the next level“, begrüßt eine angenehme Frauenstimme.

Der Arbeitstitel des Stücks lautete „Sweet memories“, und einigen stillen, tänzerischen oder erzählenden Szenen der einstündigen Performance haftet auch wirklich etwas Süßliches an. Damit unterscheidet sich „MemoRandum“ radikal von anderen Dump-Type-Produktionen, die stets durch Gnadenlosigkeit bestachen: In „OR“ beispielsweise wurde das weiße Halbrund der einen Operationsraum andeutenden Bühne ausschließlich von einem Stroboskop beleuchtet, dessen Frequenz über eine Stunde gesteigert wurde. „OR“, 1997 als erstes Stück nach dem Tod von Furuhashi entstanden, brannte sich durch seine absolute Kompromisslosigkeit dem Betrachter in die Netzhaut. Eine daraus entstandene Installation hat das Inter Communication Center in Tokio für seine ständige Sammlung erworben. Die elektronische Ewigkeit ist jedoch gar nicht Dump Types erstes Anliegen. Sie arbeiten weiter an der Gewalt des Augenblicks und einer Ästhetik des Verschwindens.

„MemoRandum“. 30. 10. in Berlin (Arena); 4. bis 6. 11. in Madrid (Festival de Otoño)