■ Kommentar
: Falsche Eile  Das Holocaust-Mahnmal wird zum Objekt des Parteiengezänks

Zehn Jahre wurde diskutiert, im Parlament, in öffentlichen Foren, in der Presse. Dann war es endlich so weit: Der Bundestag einigte sich auf ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, bestimmte Ort und Form. Alle Argumente waren bis zum Überdruss ausgetauscht worden, Einigkeit bestand von Anfang an nur in einem: Dieser entscheidende Gedenkort der Republik sollte nicht in den rein parteipolitischen Zank hineingeraten.

Das ist nun vorbei: Die Regierungsfraktionen haben entschieden, das Mahnmal durch die Bundesregierung erst per Erlass, dann per Gesetz so schnell wie möglich durchzusetzen. Ein Stiftungsrat, ein Kuratorium, wird eingesetzt, das in seiner Besetzung durch das später installierte Gesetz noch einmal über den Haufen geworfen werden könnte. Nach dem Motto: „Sorry, ihr müsst wieder raus.“ Dieses Verfahren macht das Holocaust-Mahnmal endgültig zum Objekt des Parteiengezänks.

Überraschend, wenn nicht unverständlich ist zudem der Schwenk des Zentralrats der Juden: Auch er will und wird nun in dem Gremium vertreten sein. Der kürzlich verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, wollte das unbedingt vermeiden. Denn: So wird aus dem Mahnmal der Täter eines der Opfer und Täter – die Symbolkraft leidet. Die Eile des Verfahrens macht außerdem möglich, dass sich Kulturstaatsminister Michael Naumann mit seinem mehr als umstrittenen Vorschlag eines großen Orts des Gedenkens gleich neben dem Mahnmal durch die Hintertür hereinmogelt.

Nein, so geht es nicht. Es muss der langsame, ruhige Weg beschritten werden. Ehe nicht alle Ungereimtheiten im Konsens gelöst sind, sollte die Koalition das gute Anliegen nicht mit Mehrheit durchpeitschen – das Argument, am 27. Januar, am Holocaust-Gedenktag, müsse unbedingt ein Grundstein gelegt werden, ist viel zu schwach, um diese falsche Eile zu begründen. Wenn man zehn Jahre gebraucht hat, spielen ein paar Monate auch keine Rolle mehr. Die US-Amerikaner mussten immerhin mehr als hundert Jahre auf ihr Jefferson-Memorial in Washington warten. Der engstirnige parteipolitische Kleinkrieg hier zu Lande wird am Ende womöglich noch die bestätigen, die das Mahnmal nie haben wollten. Diese billige Genugtuung sollte man ihnen nicht ermöglichen. Philipp Gessler

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