: Ein widerständiger Geist
■ Zu seinem 100. Geburtstag widmet sich eine Ausstellung in der Stabi dem Leben des kritischen Kommunisten Alfred Kantorowicz
Die Biografie des jüdischen Literaturwissenschaftlers und Kritikers Alfred Kantorowicz (1899-1979) spiegelt die Geschichte dieses Jahrhunderts. Die politischen Machtverhältnisse legten seinem Wirken immer wieder Steine in den Weg und zwangen ihn mehrmals zur Flucht. Anlässlich seines 100. Geburtstages erinnert eine Ausstellung in der Staats- und Universi-tätsbibliothek an ihn. Mit Fotos, autobiografischen Notizen, Zeitungsartikeln, Büchern und Briefen aus seinem Nachlass wird sein Lebensweg nachgezeichnet.
Als Jugendlicher stürmte der Sohn eines Berliner Kaufmanns im Zuge der Weltkriegsbegeisterung an die Front. Dort lernte er, dass es keineswegs süß und ehrenvoll ist, für das Vaterland zu sterben. Nach Studium und Promotion begann er Mitte der 20er Jahre für verschiedene Bätter wie die Vossische Zeitung als Literaturkritiker zu schreiben. In dieser Zeit lernte er Ernst Bloch und Lion Feuchtwanger kennen, woraus sich langjährige Freundschaften ergaben. Angesichts der wirtschaftlichen Krise und des Aufstiegs der Nationalsozialisten trat er 1931 in die KPD ein. Ein offener Aufruf zum Widerstand gegen Hitler zwang ihn im März 1933 zur Flucht. Im Pariser Exil wurde er zu einer wichtigen Figur der antifaschistischen Literaturszene. Als Sekretär des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller kooperierte er mit Autoren wie Roth, Herzfelde, Leonhard, Kisch, Malraux und Rollland.
1936 ging Kantorowicz als Freiwilliger nach Spanien, um im Bürgerkrieg den Faschismus direkt zu bekämpfen. Als Informationsoffizier einer Internationalen Brigade dokumentierte er den letztlich verlorenen Kampf gegen die Barbarei in seinem Spanischen Tagebuch und dem Band Tschapaiew. Das Bataillon der 21 Nationen. Seine Frau Friedel sprach die deutschen Nachrichten des republikanischen Radios in Madrid. 1940 zwang ihn der Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich, weiter nach New York zu fliehen – auf einem Schiff mit Anna Seghers. Beim Rundfunksender Columbia Broadcasting System fand Kantorowicz Arbeit als Redakteur. Zum eigenen Schreiben kam er jedoch kaum noch, insbesondere nachdem er zum Direktor seiner Abteilung befördert worden war.
1945 hoffte er, in Ost-Berlin eine günstigere Umgebung für sein Wirken zu finden. Dort gab er die Zeitschrift Ost und West heraus, publizierte eine Werkausgabe von Heinrich Mann und bekam einen Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Uni. Den erhofften sozialistischen Aufbruch fand er in der DDR jedoch nicht vor: „Wir meinten doch wirklich mit unserem Kampf die Volksherrschaft und fanden uns verstrickt in die Funktionärsdiktatur.“ Als er sich 1956 weigerte, eine Erklärung zur Unterstützung der sowjetischen Intervention in Ungarn zu unterzeichnen, wurde die Lage brenzlig.
Ein weiteres Mal ließ Kantorowicz seine Bibliothek und unvollendete Arbeiten hinter sich und ging in die BRD. Die bayerischen Behörden verweigerten ihm jedoch den Status eines politischen Flüchtlings: Erstens sei er eh ein Kommunist und zweitens habe er Repressalien wegen mangelnder Linientreue selbst zu verschulden. An eine Hochschule konnte er so nicht berufen werden. Erst in den 60er Jahren wurde ihm in Hamburg der Status doch noch zugestanden. Hier lebte Alfred Kantorowicz mit seiner Frau bis zu seinem Tode 1979. Michael Müller
„Alfred Kantorowicz (1899-1979) – eine deutsche Lebensgeschichte“, Staatsbibliothek, Mo – Fr 9 – 21 Uhr, Sa 10 – 13 Uhr, bis 20. November
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