Lob des Zettelkastens

■ Ernst Strouhal und Heimo Zobernig stellen im Frankfurter Portikus den weit über zwei Millionen Kärtchen umfassenden Buchkatalog der Österreichischen Nationalbibliothek aus

Solide Tischlerarbeit der Sechzigerjahre trifft sich mit Zobernigs Vorliebe für minimalistische Form

Die Umstellung der Bibliotheken vom Zettelkasten zum digitalisierten Katalog hat sich stillschweigend vollzogen. Man könnte meinen, es habe sich dabei um eine rein technische Systemänderung gehandelt. Doch die Katalogräume vor allem der alten Bibliotheken sind nicht wieder zu erkennen: Die geschlossenen Formationen hölzerner Karteikästen, die keinerlei Signale über ihren Inhalt aussandten, wurden durch flimmernde Bildschirme ersetzt.

Von Raumersparnis kann bei dieser Systemumstellung keine Rede sein, und auch der Zeitverlust, der durch die gelegentliche Kollision zweier Benutzer vor einem Karteikasten entstand, wird durch technische Ausfälle beim neuen System mehr als wettgemacht. Der Umgang mit dem Ordnungssystem Zettelkasten war einfach, verlangte aber für möglichst effektives Suchen eine eigene Ordnungsvorstellung. Bei der Suche am Bildschirm empfiehlt sich dagegen, um endloser Verirrung zu entgehen, die vollkommene Anpassung an das vorgegebene System.

Zu denen, die das unauffällige Sterben des Zettelkatalogs beobachtet haben ohne sich als Trauernde zu gebärden, gehören der Wiener Philosoph Ernst Strouhal und sein Landsmann, der Künstler Heimo Zobernig. Der kleine rechteckige Ausstellungsraum im Parterre des Frankfurter Portikus erschien ihnen wie geschaffen für ihre Erinnerungsarbeit unter dem Titel „Katalog. Ein historisches System geistiger Ordnung“. Zobernig hat hier den überflüssig gewordenen Zettelkatalog der Österreichischen Nationalbibliothek vor seinem endgültigen Verschwinden noch einmal aufgebaut: 84 Kästen, jeder mit 6 x 6 Laden und insgesamt rund 2,6 Millionen Zetteln, sind in vier Reihen so angeordnet, dass sie den Raum füllen.

Die Verfrachtung von einem großen offenen Raum vor dem Hauptlesesaal der Nationalbibliothek in eine geschlossene Raumzelle macht aus dem Katalog ohne jedes weitere Zutun eine Raumskulptur. Der Besucher, dem gerade so viel Raum bleibt, um die Gänge zwischen den Reihen abzulaufen, bekommt das Ganze in Form und Materialität noch einmal vorgeführt. Die Kästen aus Pressspanplatten mit einem Kunststoffbelag im Holzdesign stehen auf einem verchromten Metallgestell. Die solide Tischlerarbeit der Sechzigerjahre trifft sich mit Zobernigs Vorliebe für die minimalistische Form.

Doch die äußere Einheitlichkeit täuscht. Der alphabetische Katalog ist zweigeteilt in eine alte Abteilung mit allen Druckwerken von 1501 bis 1929, und eine neue von 1930 bis 1998. Er wurde 1966 im Zuge der baulichen Erweiterung der Nationalbibliothek aufgestellt. Vorausgegangen war die mühsame Prozedur der Übertragung des alten, auf dem Zettelkatalog von 1848 basierenden Teils auf Zettel im international gültigen Format.

Zu dem Projekt wurde ein Begleitbuch mit Texten von Strouhal, Zobernig und Hans Petschar zusammengestellt.

Die Texte handeln von der Geburt des modernen Bibliothekskatalogs in der Zeit der Französischen Revolution und von der speziellen Kataloggeschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, die 1780/81 mit dem „Josefinischen Katalog“ ihre entscheidende Zäsur bekam. Das Buch enthält Fotografien, die der letzten Zettelkastengeneration ein Höchstmaß an Klarheit und Funktionalität bescheinigen. Von Zobernig stammt ein „Vademekum“, eine chronologische Titelblattfolge zu Kommentaren und Instruktionen, mit denen Bibliothekare im 19. und frühen 20. Jahrhundert den alphabetischen Katalog als geistiges Ordnungssystem den Benutzern empfahlen. Die historischen Texte wiederum lesen sich wie ein einziger Seufzer über die Schwierigkeit, der stetig wachsenden Bücherzahl eine Ordnung zu geben, die mehr sein will als die Erfassung der Bücher nach Autorennamen und Titeln.

Das sind, so scheint es, Sorgen von gestern. Für den hypertrophen Trieb des Menschen, alles, was ihn bewegt, mitzuteilen, ist heute mehr und mehr das Internet zuständig, und mit der boomenden CD-ROM-Technik wächst die Angst vor dem Ende der Buches.

Heimo Zobernig beschäftigt bei dem Projekt im Frankfurter Portikus etwas ganz anderes: Hier wird der Katalog in seiner trockenen Wortwörtlichkeit vorgeführt. Ihn interessiert, wie bei den früheren Arbeiten „Lexikon der Kunst“ und „Die Kunst der Enzyklopädie“ die Abhängigkeit des Einzelnen von einem Ordnungsschema, das „eigentlich unsinnig und trotzdem universell ist“.

Gabriele Hoffmann

Bis 7. 11., Portikus, Frankfurt/Main. Das Buch kostet 48 Mark.