Undress the subject

Der Schlag ist raus: Beim dritten National Poetry Slam in Weimar dominierte Lesen statt Rappen  ■   Von Fritz v. Klinggräff

Entgegen seiner semantischen Konnotationen ist ein Slam (dt.: schleudern) selten von unmittelbarer Gewalt. Im Weimarer E-Werk trug man dem am Wochenende beim dritten National Poetry Slam trickreich Rechnung und verbarg das Zentrum des Slam – die Bühne – erst mal für eine Stunde hinter einem schwarzen Vorhang. So rappte Gastgeber Bastian Böttcher seine Begrüßungsrede mit unbewegter Mine und sparsamen Gesten vor einer sichtlich zerstreuten Basis. Das war eine lakonische kleine Einleitung in die Welt von Rhythmus, Ehrlichkeit und Mädchen – „Es geht schon wieder um den heißen Brei hier“ –, und rüber kam das peinigende Gefühl von leicht blasierter Professionalität. Aber das mochte täuschen – poetische Kreisbewegungen brauchen eine gewissen Warmlaufzeit.

Gemeinsam mit Barbara Rauch aus der rührigen Weimarer ACC-Galerie hatte Böttcher zu dieser dritten nationalen Slam-Meisterschaft in die Kulturstadt gerufen. Er selbst ist längst einer der Stars gesprochener Dichtung, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Vor zwei Jahren, beim ersten nationalen Slam, hatte man ihm die Krone aufgesetzt, was seiner Karriere recht förderlich war. Der Ex-Bremer tourt inzwischen mit einigem Erfolg durch Europa und die USA, und seit ein paar Tagen ist seine neueste LP „Zentrifugal – Tat oder Wahrheit“ auf dem Markt. Übrigens unter dem Backstreet-Boys-Label Jive produziert, wie Böttcher gern mal erwähnt. Abgrenzung ist die Sache der Spoken Word Poets nicht.

Mit den Wettkampfbedingungen eines anständigen Slam hat der junge Mann derzeit kaum noch etwas zu tun. Sein Publikum – Anpeitscher und Willkür-Regime jedes anständigen Dichterstreits – findet er in der Welt der Literaturhäuser zwischen Mainz und München so nicht mehr wieder. Den Kick holt sich Böttcher heute vor Akademikern, wo er den Pausenclown spielen soll: „Ich trete den Leuten dann mit ganz lieben lyrischen Dingen in den Arsch.“ Die sind begeistert.

Aber auch im Weimarer E-Werk verlief am vergangenen Wochenende alles streng nach Regel. Mit Rick Maverin gab es nicht nur einen Moderator, der ein weitaus besserer Dichter war als das Gros der Konkurrenz und sich mit einer gewissen Altersweisheit seine fünf Juroren aus dem Publikum pickte. Der National Poetry Slam war kein richtiger, sondern eben ein höchst geregelter Slam: Einfach auf die Bühne steigen und losrappen ist in diesen Margen genauso wenig angesagt wie eine Bewertung der Qualität nach Beifallsfrequenz. Die zu erringenden Pfründen sind dafür denn doch zu gewaltig.

Im Ring um den Titel des National Champion 99 standen gleichwohl, so die Ankündigung, „die besten zwanzig Slammer des Landes“. Sie bewiesen, dass der Poetry Slam Abschied von seinen rhapsodischen Wurzeln nimmt und die Qualitätsunterschiede trotz rigider Vorauswahl ungeheuerlich sind. Tracy Splinter aus Hamburg gewann den Titel mit herausragenden Wertungen und absolut verdient. Schnelligkeit, konzentrierte Rhythmuswechsel und eine Sprache, die sich ihrer lautlichen Ursprünge zwischen Kehle, Gaumen und Lippen jederzeit bewusst ist, fliegende Wechsel zwischen Onomatopoetik, Botschaften vom lyrischen Ich und poetologischer Selbstreflexion: Tracy Splinter – „Chip, chip / dip and doudie / and the cat was me“ – war die einzige in der gesamten Slam-Gemeinde, die eine Ahnung von hoch professioneller, authentischer Spoken Poetry, von der Macht des gesprochenen Wortes zu geben vermochte. „Undress the subject!“ Ansätze davon gab es noch bei dem Wiener Volker Pieringer, ansonsten wurde weitestgehend vorgelesen.

Das Lesen aber, so Wolfgang Hogekamp, Veranstalter des ersten National Slam vor zwei Jahren, der sich in Weimar jetzt mit einem schwachen Gedichtchen über Berlins Potsdamer Platz präsentierte, das Lesen sei nun mal der Trend. Während der Weimarer Böttcher noch an einem Erzählen festhält, dem Reim und Rhythmus die Produktionsmittel sind, sei Berlin auf dem Weg „zurück zum Text“, so Hogekamp. „Es gibt ein immenses Interesse, Gechichten zu erzählen.“ In Weimar äußerte sich dieser Affekt in hochnotpeinlichen Storys über Weltraum-Drugs und Körpergeruch. Drei Hannoveraner Poetry-Hooligans schrien dann manchmal „Buh“ und „Der wird doch gepuscht!“, waren aber auch nicht besser.

Bei den Teamwettkämpfen am folgenden Tag lag das Niveau um einiges höher. Die Verpflichtung zur gemeinsamen Performance scheint dem Dichtervolk gut zu tun. Und als die beiden Kieler Jungs Nils und Seba direkt von der Autobahn auf die Bühne sprangen und einen Holsten-Rap nach dem anderen aufs Parkett legten, kam sogar für ein paar Minuten Live-Atmo auf. Das rockte gekonnt zwischen Vortrag und Improvisation, und wo das nicht weiterging, half ein flehendes „Weimar!“ und die Inspiration war wieder da: „Ideen / Sie kommen und vergehen / Keiner kann's verstehen / Weimar, du versteh'n?!“

Den Mannschaftssieg aber trug die vierköpfige Tübinger Crew mit Tina B. Arnhelm, Friedemann B. Holder, Simone B. Ohne und Florain Retard davon. Und das war zuletzt doch ein Sieg des konzentrierten Creative Writing und passte, trotz perfekter Show, in den Trend hin zum Text. Keiner war an diesem Wochenende so dada wie diese vier Tübinger GermanistikstudentInnen. Den Slam trafen sie punktgenau dort, wo er in Weimar tanzte: in seiner abgerundeten Mittelmäßigkeit.