Man bleibt der Firma treu

Standort Deutschland (5): Pirmasens im Pfälzerwald, einst Deutschlands Schuhzentrum, hat heute vor allem Arbeitslose und Brachland im Angebot  ■   Von Thomas Sakschewski

„Man muss sich mit den Bürgern identifizieren. Aber auch mit der Stadt, wie sie da ist.“

Der düstere Bau aus der Gründerzeit am Rande der Innenstadt von Pirmasens wirkt wie eine Kaserne. Schon von außen hört man das schwere Stampfen der Stanzmaschinen. Hinter den dicken Mauern verbirgt sich die älteste Schuhfabrik Deutschlands. Gegründet 1838, ist Peter Kaiser einer der letzten von einst 300 Schuhherstellern in der Stadt in Rheinland-Pfalz. Peter Kaiser hat durchgehalten. In den kleinen Schuhgeschäften von Aschaffenburg bis Wattenscheid sind die genauso eleganten wie konservativen Lederschuh-Kollektionen für Sie und Ihn, in Schwarz oder Braun, fast ein Selbstläufer. In den 160 Jahren Peter Kaiser haben sich die Modelle ein wenig, die Maschinen ein wenig mehr und die Arbeitsschritte nur unwesentlich verändert.

Unter den langen Reihen von Neonröhren laufen an einem Schienensystem die kleinen Plastikwannen, mit denen die Einzelteile in die verschiedenen Abteilungen transportiert werden. Dort sitzen Frauen – wie auch schon 1838 – stanzen, nähen, zwicken. Einhundert einzelne Arbeitsschritte für jedes Paar Schuhe. 12 bis 14 Mark bekommen sie dafür in der Stunde. Üppig waren die Löhne in der Schuhindustrie noch nie. Doch man bleibt der Firma treu, sagt Claus Schmidt, der Verkaufsleiter. „Das ist alles so 'ne gewachsene Struktur. Die haben teilweise über 25 Jahre Peter Kaiser auf dem Buckel.“ Mag der Buckel auch wirklich krumm sein nach 25 Jahren Peter Kaiser – die meisten der 850 Mitarbeiter sind einfach froh, überhaupt Arbeit zu haben. Pirmasens war einmal das Zentrum der Schuhproduktion in Deutschland. Mehr als hundert Jahre wurden hier im Pfälzerwald Schuhe genäht. Doch schon in den 70er-Jahren ging es bergab. Schuhe aus Italien waren schicker und billiger als die Modelle aus Deutschland. Der Oberbürgermeister Joseph Krekeler spricht gar von einem „Strukturwandel, wie wir ihn anderweitig kaum kennen. Wir haben in den letzten 30 Jahren über 31.000 Arbeitsplätze in der Schuhindustrie verloren.“ Seit Jahren ist Pirmasens das Schlusslicht bei der Erwerbstätigenquote in Rheinland-Pfalz. Mit dem Niedergang der Schuhindustrie sind viele Pirmasenser weggezogen, denn andere Arbeitsplätze als die in den Schuhfabriken und Zulieferbetrieben gab es in der Stadt nicht. 1972 lebten in Pirmasens noch 65.000 Menschen. Heute sind es gerade einmal 50.000. Doch in Pirmasens „wohnen optimistische Menschen, die wiederholt ihr Schicksal in der Vergangenheit gemeistert haben“, sagt der Oberbürgermeister. Auf diesen Optimismus muss Joseph Krekeler bauen, um Perspektiven für seine Stadt zu zeichnen, die vor allem eins hat: Viel Platz!

Der Niedergang der heimischen Schuhhersteller und Zulieferbetriebe hat noch mehr brachliegende Quadratmeter als Arbeitslose hinterlassen. Die prachtvollen Fabrikgebäude aus der Gründerzeit verfallen, die Werkstore sind mit Ketten gesichert, die Firmennamen – Knopp, Rheinberger, Salamander – sind kaum mehr zu entziffern. Namen an Gebäuden, die wiederbelebt werden sollen. Und wenn es nach dem Oberbürgermeister ginge, würden sie alle ein bisschen aussehen wie Neuffer im Park, das Vorzeigeobjekt in Pirmasens. Jahrelang stand die Schuhfabrik am Hang leer. Ein Fabrikant, ein Schuhfabrikant, kaufte das Gebäude, sanierte es und konnte sämtliche Räume vermieten. Jetzt gibt es hier Arztpraxen, ein Sportstudio, die lokale Radiostation und nicht zuletzt den Eigentümer selbst. Der richtete hier ein Schuhforschungslabor ein. Da werden Sportschuhe am Computer entwickelt und die Prototypen im steten Rhythmus der Maschine solange malträtiert, bis sie aus den Nähten platzen. Bei dem Italiener im Hof treffen sich die Leute auf einen Grappa, die nicht optimistisch sein müssen, um Geld ausgeben zu können. Ein, zwei, viele Neuffers sollen in Pirmasens entstehen, doch bislang blieb es bei dieser einen Revitalisierung leer stehender Industriebauwerke.

Nicht nur mit der ehemaligen Schuhfabrik Neuffer im Park versucht die Schuhstadt das schlechte Image kräftig aufzupolieren. Viel hat Pirmasens in den letzten Jahren investiert, damit der Stadt die hohe Arbeitslosigkeit nicht anzusehen ist. Der Stierbrunnen am Schlossplatz, von dem ein mächtiger Wasserfall zum Alten Rathaus hinab donnert, ist das Wahrzeichen der Stadt. Die Fontäne mit der auffälligen Stierplastik ziert wie der Exerzierplatz denn auch jede Ansichtskarte und Stadtbroschüre. Mit der Umgestaltung des Exerzierplatzes am Neuen Rathaus haben sich die Stadtväter ein Denkmal gesetzt. In einem Wandelgang aus rotem Sandstein kann man den Platz umkreisen und so eine Stahlskulptur in der Mitte von allen Seiten bewundern. Doch unter der blauen Metallkonstruktion – halb Kirchturmspitze, halb Tatlins Denkmal zur Dritten Internationale – verbirgt sich nur der Eingang der Tiefgarage. Wenn der Oberbürgermeister am Schreibtisch sitzt, hat er ein Modell der Stahlskulptur im Rücken. Die Ratsentscheidung für den Umbau des Exerzierplatzes wäre vor seiner Amtszeit gefallen, betont Joseph Krekeler. Doch mit der Stadt Pirmasens identifiziert sich der Oberbürgermeister sehr wohl. „Man muss sich mit den Bürgern und Bürgerinnen identifizieren und mit den Problemen, aber auch natürlich mit der Stadt, wie sie da ist. Die Stadt hat eine herbe Schönheit, da möchte ich schon darauf hinweisen.“

Mehr herb als schön zeigt sich die Innenstadt. Die schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg sind auch heute noch sichtbar. Entlang der Hauptstraße reihen sich die schnell nach dem Krieg hochgezogenen Gebäude aus den 50er-Jahren. In der Fußgängerzone findet man die Boutiquen, Kaufhäuser und Drogerien, die man von überall her kennt. An den beiden Enden der Fußgängerzone stehen Spielhallen, Diskos und Imbissbuden. Immerhin ist die Einkaufsstraße neu gepflastert worden. Wellenmuster im Bodenbelag setzen das Wasserspiel aus dem Stierbrunnen fort. Alle paar Meter stehen saubere Bänke für die, denen der Einkaufsbummel bergauf nicht ohne Verschnaufpause gelingt, denn jeder Stadtrundgang gleicht einem Belastungs-EKG. Wohlweislich ist die Benutzung der Fußgängerzone mit Rollschuhen oder Inline-Skates verboten. Sie würden vom Anfang der Fußgängerzone bis hinab zum Schlossplatz, der Talsohle, ihre Geschwindigkeit nicht mehr drosseln können und einfach an dem teuren Brunnen vorbei sausen. Wer in Pirmasens bummelt, braucht nicht Rollen unter den Sohlen, sondern festes Schuhwerk, denn kaum hat man einen Hügel erklommen, da geht es schon wieder hinab ins Tal.

Der Abwärtstrend in der Schuhindustrie konnte mit Hilfe der U.S. Army ausgeglichen werden. Die ließen zwar ihre Marschstiefel nicht in der Pfalz nähen, doch wollten die bewacht, bekocht und unterhalten werden. 10.000 US-Soldaten waren in Pirmasens stationiert. Im Herbst 1997 marschierten sie ab und hinterließen wieder einmal zehntausende Quadratmeter: Kasernen, Schulen und Casinos – besenrein. Ein ganz neuer Stadtteil! Die mächtigen Kasernengebäude aus den 30er-Jahren stehen leer. Für den Umbau zu Wohnungen gibt es bei rückläufiger Einwohnerzahl keinen Bedarf. Die Schulen dienen der Boombranche zur Weiterbildung Langzeitarbeitsloser als Lehrräume, und auf den Betonpisten des Militärgeländes, der Husterhöhe, soll ein Kfz-Park entstehen. Autohändler benötigen große, versiegelte Flächen, weiß man bei der Stadtverwaltung.

Das Schaufenster in der Fußgängerzone ist die Wandzeitung gesellschaftlicher Ereignisse

Doch das ist nicht die einzige Idee für dieses riesige Areal. Herbert Groß, Chef des Amtes für Wirtschaftsförderung, ist Realist. Sein Konzept richtet sich vorwiegend an das „endogene Potenzial“, wie er es nennt. Damit meint er die Unternehmen aus Pirmasens, die sich für die Grundstücke interessieren könnten. „Das heißt nicht, dass wir die anderen nicht wollen, doch wir müssen eins sehen. Nach High-Tech, nach Multimedia fragt jeder. Das wird deutschlandweit, das wird europaweit, das wird weltweit abgefragt. Wir müssen sehen, dass wir auch den Leuten, die momentan nach Arbeit suchen, etwas bieten können und nicht nur einer Idee nachlaufen, die von allen natürlich gewünscht wird. Wir müssen den Leuten, die hier sind, auch eine Perspektive und eine Chance geben für die Zukunft.“ Wie diese Perspektive aussehen könnte, lässt Herbert Groß offen. Schon die innerstädtischen Gewerbe- und Industrieflächen sind ja kaum zu vermieten. Noch jedenfalls sind die einzigen Fahrzeuge, die durch die Tampa Avenue brausen, olivgrün. Die Bundeswehr nutzt in der zwingenden Logik der neuen Ordnung einen kleinen Teil des Militärgeländes auf dem Hochplateau über der Stadt. Pirmasens wirbt für die Vermarktung von Konversionsflächen mit einer direkten Anbindung des Geländes an die Autobahn. Doch diese sogenannten harten Faktoren spielen bei der Ansiedlung neuer Unternehmen nur noch eine untergeordnete Rolle. Die weichen Standortfaktoren wie das Stadtbild oder die Freizeit- und Kulturangebote werden immer bedeutsamer. Und da hat die Stadt in der Südpfalz nicht viel mehr zu bieten als den Günauer, die einzige Tanzschule in Pirmasens. Der Abschlussball beim Günauer ist der erste Schritt in die kleine Gesellschaft von Pirmasens. Deswegen werden die Bilder vom Abschlussball mit selbstbewusst die Ballgarderobe füllenden Mädchen auch im Schaufenster des örtlichen Fotostudios in der Fußgängerzone ausgehängt. Das zweite Schaufenster ist für Hochzeitsfotos reserviert. Hier tragen die Männer Fracks und die Frauen weiße Brautkleider. Die Männer stehen. Die Frauen sitzen. In Pirmasens weiß der eine, wenn der andere heiratet. Das Schaufenster in der Fußgängerzone ist eine Art Wandzeitung gesellschaftlicher Ereignisse.

Weil es an weiteren kulturellen Angeboten mangelt, hat die Stadt von Pirmasens Marketing e.V. ein Maskottchen entwerfen lassen. Damit man endlich einen „Sympathieträger hat, der Werbebotschaften transportieren kann.“ Pilou tauften die Pirmasenser ihren Sympathieträger, wie Filou nur mit P. Pilou ist ein Stier wegen der Brunnenskulptur am Schlossplatz. Er trägt eine Latzhose am Leib und Schuhe an den Hufen wegen der Schuhindustrie. Den Latz ziert ein großes PS. PS wie Pirmasens und Postskriptum.