Die Herren der Ringe

Meister und Schüler: mit Jeff Mills und Richie Hawtin kommen die beiden Aushängeschilder im Detroit Techno  ■ Von Holger in't Veld

Wirtschaft ist Pop, sprechen wir also über Geld. Wer von den beiden hier angekündigten Strukturisten im Quartettspiel die bessere Karte darstellt, dürfte klar sein. Für Jeff Mills müssen fünfstellige Summen über den Atlantik fließen, ein Erster-Klasse-Flug gebucht und eine Suite mit fünf Sternen reserviert werden. Darunter legt der 36-Jährige zumindest in kommerziellen europäischen Amusementbetrieben kein einziges Vinyl auf den Teller. Und warum sollte er auch? Wer wie er ein musikalisches Genre personifiziert, welches von einigen DJs als ihre gesamte Welt bezeichnet wird, darf sich die heiligen Hände küssen lassen.

Detroit, die mythologisierte Soul- und Techno-Stätte, über die immer wieder die (einseitige) kausale Verbindung zwischen den Genres beschworen wird. Dabei fällt die direkte Analogie zum gesellschaftlichen Umbruch der letzten 20 Jahre wahrlich nicht schwer – war Soul der wärmende Halt in der Industriearbeit, dann ist Techno der allegorische oder affirmative Umgang mit der postindustriellen Leerstelle. Jeff Mills als einen der wenigen Gewinnler dürfte das allerdings nur noch als sentimentale Erinnerung tangieren. Längst lebt er freudvolleren und bunteren Chicago, die Kampfanzüge und Skimasken der Vergangenheit sind Kaschmir und Lackschuhen gewichen. So wird auch im unvermeidlichen Personenkult klargestellt, was es heißt, zeitlos zu sein, über den Dingen zu stehen.

Camouflage war Ende 1980, damals gründete Mills zusammen mit Mike Banks die Techno-Blaupause Underground Resistance, die in Bezug auf Ästhetik und Strategie ein Bindeglied zwischen der konkreten Intervention von Public Enemy und dem Futurismus von Kraftwerk darstellten. Musikalisch kam das ohne die oberflächlich-sentimentale Süße von Pop aus, und auch Mills seit 1991 veröffentlichte Solo-Arbeiten sind weit von klischiertem Großraumtechno entfernt.

Ob auf Platte oder live ist er ein schneller und intuitiver DJ, der, lange vor den Hochleistungsarbeitern im HipHop immer kleinere Partikel zu einem Ganzen verbindet, rhythmisch gekittet durch die prägende Maschine namens 909. Über die erkenntlichen und bewusst eingesetzten Bruchstellen lebt die Fläche und hält Mills bis zum Ende die Spannung, bremst, filtert und stolpert hinreißend und erzielt als Ergebnis eine Art unversöhnlichen Hardtrance, dessen Flächigkeit allein aus der Addition vieler kleiner beweglicher Teile entsteht und, zusammen mit der schmerzvollen Tatsache, dass der große, alles gleichmachende Beat niemals kommt, immer wieder in den kollektiven Wahnsinn treibt.

Dieses gern als Tribal kategorisierte Verfahren verkauft sich natürlich weitaus besser als die avancierte Verfeinerung seines „weißen Ziehkinds“ Richie Hawtin. Der Kanadier, der seinen Link zu Detroit über den Job des Vaters bei General Motors erhielt, ist das operablere der Rolemodels, weniger Genie, mehr Bastler. Sein Flug darf auch billig sein, Hauptsache, er hat genug Platz für seinen Laptop, wo er in jeder freien Minute alle Art von Informationen bereinigt und strukturiert. Musik ist für ihn nur eine Ausdrucksform unter vielen und wird in Zukunft von künstlerischem Multimedia transzendiert. Trotzdem lässt er sich mit einer gerade erschienenen CD zur Bedürfnisbefriedigungherab, wo er, wie Mills seit langem, mit Drumcomputer ein molekulares DJ-Set zum Gesamtkunstwerk formt.

Hier lassen sich die Unterschiede am deutlichsten lesen. Denn obwohl in Hawtins Set viel Material von Mills eingebunden ist, sind die Ergebnisse doch so unterschiedlich wie Arbeiten von Barnett Newman und Mark Rothko. Es stehen sich – innerhalb eines in Bezug auf Sound und Textur selbstbegrenzten Rahmens – Expressivität und Formalismus gegenüber. Der eine zwingt den Beat, der andere ist der Beat. Wo da der Spaß sitzt? Spaß ist schon äußerlich kein kahlgeschorener Mann mit winziger Brille, der auf Interfaces um subtile Soundmodulationen ringt.

„In meiner Musik“, so Hawtin, „geht es um Variationen von Sound, Textur und sehr subtile Veränderungen. Ich habe acht Jahre gebraucht, um zu diesem Punkt zu kommen, Stunden über Stunden, die ich Musik gehört und aufgelegt habe, um diese kleinen Veränderungen zu hören.“ Das Ergebnis, nachzuhören auf diversen Tonträgern, die Hawtin unter dem Namen Plastikman veröffentlicht hat, ist beeindruckend, hat jedoch denkbar wenig mit seinen Qualitäten als DJ zu tun.

Jeff Mills: Fr, 5. November Richie Hawtin: Fr, 18. November, beide 22 Uhr, Phonodrome