: Was von der Reform nach dem Tage übrig bleibt
Die heute im Bundestag zur Abstimmung stehende Gesundheitsreform wird in den Vermittlungsausschuss gehen. Dort wird die CDU/CSU sie weiter zerfleddern, und die Lobbyisten der Pharmaindustrie und der Krankenkassen werden auf ihr herumhacken ■ Von Annette Rogalla
Berlin (taz) – Großes hatte Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) mit der Gesundheitsreform vor. Das Werk sollte „das System vom Kopf auf die Füße stellen“. Nun gehen selbst ihre Parteifreunde davon aus, dass die heutige zweite und dritte Lesung des Gesetzes im Bundestag „zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung“ nur noch formal abgehalten wird. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Kristin Heyne, ruft die Opposition bereits zur „konstruktiven Zusammenarbeit“ im Vermittlungsausschuss auf. Heynes Kollege von der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, assistierte gestern: Das Gesetz soll aufgesplittet werden in Bundesrat-zustimmungspflichtige und nicht zustimmungspflichtige Teile. Es droht einzutreten, was ihr die Böswilligen beim Amtsantritt hämisch wünschten: Gesundheitsministerin Andrea Fischer scheitert mit der „Reform 2000“.
Dabei hat sie durchaus auf ihre Kritiker gehört: Mehr als 200 Änderungsanträge arbeitetete ihr Ministerium in die Vorlage ein. Trotzdem: Die Lobbygruppen der Ärzte und Apotheker, der Pharmaindustrie und der Krankenhäuser zupften so lange am Entwurf, bis sein zentraler Baustein „Globalbudget“ bröckelte. Damit wollte Fischer die Ausgaben der Ärzte im voraus für das jeweils kommende Jahr festschreiben. Jährlich sollte nicht mehr ausgegeben werden als eingenommen wird.
In seiner ersten Form hätte das Globalbudget dazu führen können, dass die Ärzte kostenlos behandeln müssen, wenn sie das Budget überschritten haben. Egal, ob der Arzt sparsam oder verschwenderisch gehaushaltet hatte. Nach heftigen Protesten änderte Fischer diese Regelung. Nach dem vorliegenden Entwurf soll ein Warnsystem den Arzt auf eine drohende Budgetüberschreitung aufmerksam machen. Das reichte der Ärztelobby nicht.
Zu Wochenbeginn gab Fischer noch einmal nach: Die starre Globalbudgetregelung könne ein wenig flexibler gestaltetet werden. Alle zwei Jahre soll nun ein Sachverständigenrat die finanzielle Ausstattung des Gesundheitswesens begutachten und auch Budgeterhöhungen empfehlen dürfen.
Ob starr oder flexibel – unklar ist, wie das Globalbudget funktionieren soll. Die einfache Frage: Wer verteilt nach welchen Kriterien das Geld für die Sektoren Krankenhaus, niedergelassene Ärzte oder Arzneimittel kann niemand erklären. Der Gesetzentwurf benennt kein Gremium, dem diese Kompetenz des Verteilens zukäme. Birgit Mickley, Referentin in der SPD-Arbeitsgruppe Gesundheit, meint, „eine konzertierte Aktion oder ein ähnlich strukturiertes Gremium“ könne abhelfen.
Auch der zweite Teil der Reform, die einheitliche Finanzierung der Krankenhäuser, wird abgelehnt. Bislang bauen und unterhalten die Bundesländer die Kliniken, die Krankenkassen tragen die Kosten der Behandlungen. Laut Gesundheitsreform sollen sie beides finanzieren. Die Kassen waren bis gestern begeistert, die Länder erbost. Sie beharren auf ein Mitbestimmungsrecht bei den Kliniken und wollen auch weiterhin bei Planungen beteiligt werden. Mittlerweile muss Fischer daher davon ausgehen, dass auch SPD-regierte Länder sich weigern, die Krankenhäuser an die Kassen abzugeben. Die Länder müssen im Bundesrat sowohl dem Globalbudget als auch der Krankenhausfinanzierung zustimmen.
Die Opposition übt sich in Totalverweigerung. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und CDU-Chef Wolfgang Schäuble finden einmütig, die Reform sei völlig falsch angelegt. Nötig sei eine „medizinische Bedarfsabschätzung, mehr Transparenz im Gesundheitswesen und eine größere Wahlmöglichkeit“. Konkretes war von den Herren bislang nicht zu hören.
Auf welcher Ebene die Union mit der Regierung streiten will, ist noch unklar. Normalerweise ginge die vom Bundesrat abgelehnte Vorlage in den Vermittlungsausschuss. Doch hinter verschlossenen Türen lässt sich wenig publikumsträchtig Politik machen. Aus der Union heißt es, der frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) wolle einen „Gesundheitsgipfel“ einberufen. Am Tisch sollen Kanzler Schröder, Gesundheitsministerin Fischer, Stoiber und Schäuble sitzen. Seehofer will seiner Nachfolgerin kamerawirksam eine Radikalkur verpassen.
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