Der Freund der Schwester

■  Schwule Sozialisation in der kanadischen Provinz: „The Hanging Garden“, der Debütfilm des kanadischen Regisseurs Thom Fitzgerald, erspart seinem Helden nichts

Herr im Himmel, sieht die Braut grässlich aus. Zu ihrem Kleid gehören zwei Schleier: Einer bedeckt den Hinterkopf, der andere das Gesicht. Dazwischen ragt einzig unverhüllt ein Puschel Haar hervor. Müssen Frauen in Filmen mit schwuler Hauptfigur eigentlich immer trampelig wirken? William (Chris Leavins) kehrt zur Hochzeit seiner Schwester Rosemary (Kerry Fox) nach zehn Jahren zum ersten Mal zu seiner Familie in die kanadische Provinz zurück. Hier herrscht ein ruppiger Umgangston. Die Mutter ist eine verkniffene Arbeiterin im Dienste ihrer Lieben, der Vater ein cholerischer Saufkopf, der seine Schwester während der Hochzeitsfeier unverblümt eine Schlampe schimpft (später werden wir wissen: Recht hat er), die sich in alles einmischt, und während der Trauung kräht im entscheidenden Moment die alzheimerkranke Großmutter Grace: „Ich will! Ich will! Ich will!“ Hassen Sie Familie? Dann sind Sie hier richtig.

Als William dieses „Zuhause“ Hals über Kopf verließ, war er ein kolossal übergewichtiger 16-Jähriger. Zehn Jahre später jedenfalls ist aus dem dicken Willy ein hübscher, gertenschlanker Stadthomo geworden, der mit seinem Lover ein offenbar leidlich glückliches Leben führt. Dass der im Film unsichtbare Geliebte ausgerechnet Dick heißt, beide Homos also Slangnamen fürs Genitale tragen, ist nebenbei gesagt ein Witzchen unter dem Niveau dieses Films.

Klar, dass die alten Familienstrukturen schnell wieder greifen – prompt bekommt William wieder Schübe von Fresssucht. Doch damit nicht genug. Vor seinem inneren Auge sieht er sich selbst wieder als Knaben und als Teenagerkloß unglücklich durch das Elternhaus trotten. Und so erfahren wir, wie es damals zur Flucht kam: William hatte sich ein wenig in den Freund seiner Schwester verknallt; bei einer unverhofften Rubbelsexszene werden Willy und Fletcher von der Großmutter ertappt, worauf die alte Lady in einen religiösen Koller fällt. Die allzeit patente Mutter und ihre Schwägerin hecken daraufhin einen Plan aus, wie der dicke Junge auf den Pfad der Heterosexualität gewuchtet werden könnte – was natürlich grandios daneben geht.

Es sind die Details, die aus „The Hanging Garden“ einen zwar leicht irren, aber zugleich charmanten kleinen Film machen. Beim Toronto Film Festival wurde er mit dem Publikumspreis und als bester kanadischer Spielfilm ausgezeichnet. Dem kanadischen Regisseur und Drehbuchautor Thom Fitzgerald ist mit seinem Debütfim das kleine Kunststück gelungen, eine surreale Filmsprache zu entwickeln, die allerdings keine platten Psychologisierungen erzwingt. Mögen die Familienmitglieder auf verschlungenen unterschwelligen Ebenen auch seelenverwandt sein, die existenzielle Distanz zwischend den Protagonisten wird dadurch keineswegs aufgehoben. Hier muss letztlich jeder auf seinen eigenen Füßen stehen. Reinhard Krause

„The Hanging Garden“. Regie: Thom Fitzgerald. Mit Chris Leavins, Kerry Fox, Seanna McKenna, Joe S. Keller. Kanada 1997, 90 Min.