Flott flottierende Werke

Ernüchterndes vom Oberhausener Symposion „Cross Fair“: Die Arbeit mit neuen Technologien bindet Künstler auch an „Multimedia-Partner“  ■   Von Gabriele Wittmann

New York, 1963. In neun rauschenden Nächten feiert die Community einen Meilenstein der Zusammenarbeit. Eine Hand voll Tänzer hat einen riesigen Raum in Beschlag genommen und durchquert ihn, auf Robotern stehend. Überall zischt und kracht es, Geräusche quillen aus uneinsehbaren Quellen. „E.A.T.“ hieß dieser legendäre Versuch einer interdisziplinären künstlerischen Zusammenarbeit, kurz für„Experiments in Arts and Technology“.

Oberhausen, dreißig Jahre später. Die Tanzgeschichte beginnt von vorn. Bei der „Cross Fair 1999“, einem fünftägigen Symposion vergangene Woche im Oberhausener Ebertbad, ging es zunächst einmal darum, Tänzern und Choreografen zu veranschaulichen, welche Möglichkeiten die neuen Medien bieten. Hirnforscher, Software-Anwender, Architekten, Komponisten und bildende Künstler hielten Vorträge.

Was bieten sich nicht alles für Wunderwelten an Möglichkeiten: Raum und Zeit können sich ausdehnen oder zusammenziehen oder „verflüssigen“. Die Zukunft des Körpers, die die Dramaturgin Ghiselaine Boddington an der Londoner Middlesex University erforscht, liegt im menschlichen Miteinander, auch wenn dabei die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine immer undeutlicher wird.

Deswegen schickt Boddington, und mit ihr die Londoner Gruppe Shinkansen, die Künstler in die Clubs. Dort können sie ihre Musikschnipsel, Videos, Choreografien zu einem einmaligen Live-Abend gestalten, während Movement Jockeys den Besuchern auf den Schoß springen in dem Versuch, sie zum Tanzen zu animieren.

Für den Tanz der Zukunft zeichnet kein Choreograf mehr verantwortlich, alle beteiligten Künstler arbeiten im „multi-networked environment“ an einem „flottierenden“ Werk. Dabei dirigiert beispielweise der Tänzer seine Umgebung mit seinen Bewegungen – Licht, Ton, Text, Video reagieren interaktiv auf seinen Tanz. Noch vor wenigen Jahren musste er seine Gliedmaße an Drähte anschließen, musste auf bestimmte Stellen am Boden treten oder Lichtschranken passieren, um Sensoren auszulösen. Heute werden seine Bewegungen einfach von Kameras verfolgt und im Computer zerlegt.

„I-Cube“ und „Big Eye“ heißt die Software, die den Tanz derzeit beschäftigt. Was kann man damit alles anfangen? Viel zu viel. Und viel zu wenig von dem, was in Oberhausen gezeigt wurde, war ästhetisch sinnfällig.

Poetisch wirken die Arbeiten des Kaliforniers Bill Seaman: Seine elektronischen Environments bieten Beziehungen an zwischen Text, Bild und Ton, die allerdings sofort wieder dementiert werden und somit genau die Lücke aufzeigen, die beim Erzeugen von Bedeutung entsteht. Im kommenden Jahr wird in Dortmund Seamans jüngste Installation zu sehen sein, eine Zusammenarbeit mit der Tänzerin Regina van Berkel vom Ballett Frankfurt. Der Besucher nimmt mit ihr eine „berührbare“ Beziehung auf, indem er seinen Körper in spezielle Möbel zwängen muss. Diese Möbel sind so gebaut, dass man Details seines Körpers spürt, auf denen die Choreografie auf der Leinwand beruht.

Am überzeugendsten erschienen die Arbeiten der britischen Performance-Gruppe Blast Theory. In ihrer jüngsten Installation mit virtueller Umgebung, die unter dem Titel „Desert Rain“ im November am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe Premiere hat, zeigen sie verschiedene Schichten von Repräsentation und Simulation am Beispiel des Golfkrieges. Jeweils sechs Besucher müssen in 30 Minuten den Ausgang von der Welt finden. Auf einer Leinwand aus fließendem Wasser – durch die später Tänzer hindurchgehen – surft jeder für sich virtuell durch die Wüste auf der Suche nach dem gemeinsamen Ziel, das keiner kennt. Nur wenn die Gruppe zufällig ins Gespräch kommt, man sich von seinen Entdeckungen berichtet, lässt sich gemeinsam klären, was die Medien verschwiegen haben.

Apropos Verschweigen: Die amerikanische Tanzhistorikerin Sally Banes zeigt in ihrem Buch „Greenwich Village 1963“ deutlich, wer die choreografischen Experimente der Sechzigerjahre finanzierte. In Zeiten des Kalten Krieges wurden in den USA, um der Konkurrenz von Bolschoi-Ballett bis MIR-Raketen Paroli bieten zu können, öffentliche Gelder freigesetzt für die Forschung an technologischen Entwicklungen – und für den Tanz. Wer mit neuen Technologien tanzte, hatte doppelte Chancen. Goldene Zeiten also für Cunninghams und Rauschenbergs und all die anderen, deren piepende, rauchende, hopsende, gleitende Experimente immer mehr an mythischem Glorienschein gewinnen, je mehr Patina sie ansetzen.

Auch heute wird der Choreograf immer abhängiger von seinem technischen Partner, der, so klagten Kongressteilnehmer in den Kaffeepausen, immer die neueste Software probieren will. Erschwerend kommt hinzu, dass Fördergelder verteilende Jurys oft diejenigen Projekte für unterstützenswert befinden, die diese Entwicklung vorantreiben.

Andreas Altenhoff, Referent an der Kunsthochschule für Medien in Köln, stieß zwischen den Zeilen einen leisen Seufzer aus: Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sei schon manchmal schwierig, denn die möchte oft genug Künstler als „billige Dienstleistungskräfte“ einkaufen. So mutieren Choreografen zu Entwicklungshelfern für Chip-Hersteller oder Telefonfirmen.

Blast Theory zeigen „Desert Rain“ vom 11. bis 14. 11. im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe