: Keine Zeit für Nachhilfe
Allein, zu fünft oder beides: Nachhife gibt es mit unterschiedlichsten Konzepten. Das Wichtigste ist der eigene Fleiß ■ Von Andreas Halle
„Bei einigen Schülern ist es schwer, einen Termin zu bekommen,“ sagt Holger Liß, Leiter der Abacus Nachhilfeschule. „Die sind heute mit Reiten, Fußball, Tennis und Golf so gut wie ausgebucht. Nachhilfe wird da nur irgendwo zwischen geschoben.“ Mangelnde Zeit vieler Schüler ist eins von vielen Problem, mit denen Nachhilfelehrer heute zu tun haben.
In vielen Familien gibt es mehr Geld als Zeit für die Kinder. Die Eltern beruhigen ihr schlechtes Gewissen dann häufig, indem sie ihre Kinder in „Freizeit“-Aktivitäten unterbringen und mit Spielzeug überhäufen. „Die bekommen soviel“ sagt Holger Liß, und schüttelt erschöpft den Kopf.
Dazu kommt, dass viele Eltern ihre Kinder überschätzen. So äußern sie den Wunsch, dass ihr Kind einmal die eigene Praxis oder Firma übernehmen soll, auch wenn dieses gerade erst die dritte Klasse der Grundschule besucht. „Selbst manche Kinder mit einer Empfehlung für die Hauptschule werden auf das Gymnasium geschickt“ sagt Käte Roch vom Lernzirkel. Diese Haltung ist maßgeblich auf die wachsenden Anforderungen im Berufsleben zurückzuführen.
Der Nachhilfelehrer muss dem Schüler nicht nur fehlendes Wissen vermitteln, er muss auch die soziale Verarmung vieler Familien in seine Arbeit mit einbeziehen. Überforderte Kinder entwickeln augrund fehlender Erfolgsergebnisse schnell Minderwertigkeitsgefühle und verlieren das Interesse am Lernen. „Wenn ein Schüler das Gefühl hat, dass vor ihm ein riesiger Berg liegt,“ sagt Holger Liß, „dann muss man ihm zeigen, dass er den nur Stein für Stein abbauen kann. Hat er dann erste Erfolge, dann stärkt das die Motivation zum Lernen.“
Ebenso wichtig wie diese Ermutigungen ist für Liß der Sinn für die Realitität. „Ein Schüler muss wissen, dass ihm geholfen wird, wenn er Schwierigkeiten hat, aber er muss auch wissen, dass das Lernen bei ihn selber liegt. Wenn jemand faul ist, dann kann ihm auch niemand helfen.“
Sigrid Vangermain, Leiterin der Schülerhilfe im Schanzenviertel, erzählt, dass viele Kinder Schwierigkeiten haben, wenn zu Hause kein Deutsch gesprochen wird. „Da sind eindeutig sprachliche Defizite.“ Auch sie spricht sich dafür aus, von einem Kind lieber etwas mehr zu verlangen, als zu wenig.
Über die Art und Weise, wie ein Schüler selbständiges Lernen lernt, gehen die Meinungen etwas auseinander. Abacus bietet ausschließlich Einzelunterricht im Haus des Schülers an. Holger Liß ist der Meinung, dass nur so auf die individuellen Schwächen des Schülers eingegangen werden kann. Ganz im Gegensatz zur Schülerhilfe, die ausschließlich Gruppenunterricht für bis zu fünf Schüler anbietet. Eine Verbindung aus beidem gibt es beim Lernzirkel. Im ersten halben Jahr erhält der Schüler häufig Einzelunterricht, damit große Lücken möglichst schnell geschlossen werden. Später kann er dann in der Gruppe weiter machen. Für Käte Roch eine sinvolle Verbindung. Während der Einzelunterricht „sehr leistungsorientiert ist, tauchen während der Zusammenarbeit in der Gruppe viele zwischenmenschliche Situationen auf, die der Schüler auch aus dem Schulunterricht kennt.“ Letzten Endes spielen auch die Kosten eine Rolle. Die Schüler der Schülerhilfe im Schanzenviertel kommen überwiegend aus eher einfachen Verhältnissen, und deren Eltern fehlt häufig das Geld für den Einzelunterricht.
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