Steife Brisen auch in der Ukraine

■  Als Ersatz für den Atommeiler in Tschernobyl bietet sich auch der Ausbau der Windenergie an – nur ist das in Bonn anscheinend kein Thema. Für deutsche und dänische Anlagenbauer wäre die Ukraine ein riesiger Markt

Wochenlang wurde heftig diskutiert, dutzende Artikel veröffentlicht – und letztlich sind Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Ministerriege doch gescheitert. Anfang Juli stand nach einer Visite in Kiew fest: Die Ukraine will am Bau zweier Atommeiler festhalten. Nur wenn die beiden Reaktoren Rowno 4 und Chmelnitzki 2 mit finanzieller Unterstützung des Westens fertiggebaut werden, nur dann will der ukrainische Präsident Leonid Kutschma den Katastrophenreaktor von Tschernobyl vom Netz nehmen. Ein glatter Erpressungsversuch, mehr aber auch nicht. Bis Mitte November, so die vorläufige Planung, muss nun die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) entscheiden, ob das fast vier Milliarden Mark teure Projekt abgesegnet werden kann. Allein aus Deutschland sollen mindestens 800 Millionen beigesteuert werden.

Im Vorfeld der Kanzlerreise gab es massive Kritik aus den Reihen der SPD und der Bündnisgrünen an diesem Nukleardeal. Tenor: Wer in Deutschland auf den Atomausstieg setzt, der könne doch nicht in der Ukraine „neue Tschernobyls“ bauen. Auffällig ist jedoch, dass nahezu alle nichtatomaren Alternativvorschläge vor allem dadurch glänzten, dass sie das Potenzial der Windenergie mit keiner Silbe erwähnten. Mit modernen Gas- und Dampfkraftwerken (GUD) sollten dem drohenden Versorgungskollaps in der Ukraine begegnet werden – soweit ein Vorschlag von Greenpeace. Den Ausbau dieser Gas- und Dampfkraftwerke solle man mit einem „Marshallplan für Energieeffizienz“ koppeln. Sicher ein probates Mittel, um das atomare Risikopotenzial in der Ukraine kurzfristig zu entschärfen. Als besonders originell und visionär kann man diesen Vorschlag jedenfalls nicht bezeichnen.

Wäre es nicht auch denkbar, einen Großteil des Energieverbrauchs in der Ukraine aus regenerativen Stromquellen, insbesondere aus der Kraft des Windes zu gewinnen? Bereits seit dem 24. Februar jedenfalls schlummert ein 16-seitiges Papier im deutschen Außenministerium, genauer gesagt in den Schubladen des Referats 412. Unter dem Titel „Energiepolitischer Jahresbericht Ukraine 1998“ sind zum Teil hochbrisante Informationen von den Energieexperten der deutschen Botschaft zusammengefasst worden. Darin heißt es: „Für Windenergie besteht grundsätzlich ein erhebliches Potenzial in der Ukraine – hier besonders auf der Krim oder im Westen des Landes im Raume Lwiw. Die ukrainische Regierung hat mehrere Plätze mit einem Gesamtpotenzial von rund 1.000 MW identifiziert.“

Andere Quellen gehen sogar noch von wesentlich höheren Potenzialen aus. Vor gut sechs Jahren war in der Siemens Hauszeitschrift schon zu lesen, dass die Ukraine allein im Küstenbereich über ein „Windpotenzial von 1.000 MW“ verfügt. Ingesamt lasse sich aber mit einer wesentlich höher installierten Leistung eine noch größere Windstromernte einfahren. „Die Südukraine ist hervorragend für die Nutzung der Windenergie geeignet“, heißt es in der Studie „Bausteine für eine ökologische Umgestaltung der Energiewirtschaft in der Ukraine“, die das Öko-Institut bereits im März 1994 vorgelegt hat.

Nach ersten Schätzungen des Internationalen Instituts für Energieeinsparung in Kiew könnten bis 1.000 MW Offshore im Schwarzen Meer und dem Asowschen Meer genutzt werden. Der Vorteil für die Ukraine: Sie kann auf ihre Erfahrungen bei der Offshore-Produktion von Öl und Gas zurückgreifen. „Diese Potenziale müssten genauer untersucht werden, doch ist eine wirtschaftlich interessante Perspektive durchaus nicht ausgeschlossen“, meint DEWI-Experte Gerhard Gerdes.

Bislang ist die Windkraftnutzung in der Ukraine auf dem Stand der Entwicklung wie in Deutschland vor gut 30 Jahren. Zur Zeit befinden sich nach aktuellen Informationen des Kiewer Energieministeriums gerade erst fünf Windkraftanlagen in Betrieb, drei davon auf der Krim – ihr Anteil an der Stromproduktion liegt heute noch im Promillebereich. Bereits seit Ende 1993 werden Windmessungen an verschiedenen Standorten durchgeführt. „Die Windverhältnisse sind gut. In den menschenleeren Regionen auf der Krim und am Asowschen Meer könnten riesige Windparks wie in den USA entstehen. Mit Wind als einheimischer Primärenergie könnte die Ukraine auch unabhängiger werden von russischen Gas- und Uranbrennstofflieferungen“, meint Curtis Briggs, Windkraftexperte des World Wildlife Fonds (WWF). Briggs hat im Auftrag des WWF in den vergangenen Jahren mehrfach die Ukraine bereist. Nicht nur die Windverhältnisse sind gut, auch gibt es eine gut entwickelte industrielle Basis, die sich für Kooperationen mit deutschen Anlagenherstellern anbietet. Gerade die ehemaligen Rüstungsbetriebe verfügen über Know-how, das nach Briggs Ansicht nur darauf wartet, im Rahmen von zivilen Konversionsprojekten neu und sinnvoll genutzt zu werden.

Noch gibt es viel Brachland für westliche Turbinenbauer zu beackern. Bis Mitte Juli wurden in der Ukraine zwölf Propeller des Typs ABE-250C mit einer technischen Leistung von 220 kW entwickelt und von der Firma Jaschmusch gebaut. Weitere Versuchsanlagen stammen aus der Produktion des ukrainisch-amerikanischen Gemeinschaftsunternehmens Windenergo Ltd. Klar ist aber auch, dass das Ende der Fahnenstange bei den ukrainischen Prototypen schon längst erreicht ist. „Die Entwicklung eigener Aggregate mit einer Einheitsleistung von 500 kW wurde auf Grund fehlender finanzieller Mittel so gut wie eingestellt“, heißt es in einem internen Papier der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Berlin. Deutsche und dänische Turbinenbauer könnten der Ukraine mit Windrädern der Megawatt-Klasse schon aus der Klemme helfen. „Das wäre ein riesiger Markt für deutsche Anlagenbauer“, meint Briggs.

Klar ist, mit den rund 800 Millionen Mark, die die Bundesregierung für die beiden Ersatzreaktoren berappen soll, ließe sich schon ein ordentlicher Einstieg in den Ausbau der Windenergie auf der Krim realisieren. Ein erster Schritt, dem weitere Maßnahmen folgen könnten.

Michael Franken