Dienstleistung Streicheleinheiten

■ Waschen und Legen“: eine Exkursion in vier verblüffend unterschiedliche Berliner Frisörbiotope (Sonntag, 21.15 Uhr, 3sat)

Eine Doku über vier Frisersalons in vier kreuzverschiedenen Berliner Stadtbezirken? Tolle Idee. Und ein Glück, dass sich Regisseurin Alice Agneskirchner den Menschen ohne vorgefasstes Schema genähert hat. So gelingen ihr Exkursionen in vier verblüffend unterschiedliche Großstadtbiotope.

Bei „Gelincik Mustafa Demirhan“ in Moabit wird mit Rasiermesser, Schere und gar Feuer gearbeitet und den ausschließlich türkischen Kunden die Illusion geboten, man befinde sich auf Kurzurlaub in der alten Heimat. Handwerkliches Ethos herrscht hier – und die Erkenntnis, dass türkische Frisöre mit 40 die Nase voll haben von ihrem Beruf. Weil sie schon mit 13 Jahren anfangen. „90 Prozent der Frisöre haben Krampfadern“, sagt ein Mitarbeiter sarkastisch. Er ist Ende 30. Und der Chef meint: „Ich schlafe deshalb immer mit hoch gelegten Füßen.“

Nachgerade kühl geschäftstüchtig geht es bei „Coiffeur Udo Walz“ am Ku'damm in Charlottenburg zu. Selbst hier, wo Sabine Christiansen und Harald Juhnke mal schnell vorbeischauen, gibt es Kundinnen mit ungebremstem Mitteilungsdrang. Doch der Meister ruiniert noch jedes Gespräch, indem er unvermittelt seine verhuschten Subalternen anzischt, er könne Schere oder Föhn nicht finden. Zum Abschluss einer jeden Frisur die immer gleiche Verabschiedung: Der Starcoiffeur macht eine spielerisch servile Verbeugung, und schon eilt er zur nächsten Kundin. Glücklich entronnen.

Auch bei „Headhunter“ in Prenzlauer Berg ist schnelles Arbeiten oberste Maxime. Zum Einheitspreis von 20 Mark wird hier im Akkord gewaschen, geschnitten und gefärbt. Hier arbeiten keine Frisöre, sondern „Cutter“ – sehr schnell und ein bisschen grob. Fürs Interview muss Schampooneuse Michaela die Zigarettenpause opfern. Ja, vor dem Haar mancher Kunden ekelt sie sich ein wenig, aber bei 130 Köpfen pro Arbeitstag trägt sie ohnehin stets Gummihandschuhe. Heiraten, erfahren wir, würde sie höchstens in Las Vegas, mehr so aus Spaß.

Heimlicher Star des Films aber ist „Karla Löpers Frisiersalon“ in Lichtenberg. Hier arbeitet ein Team von drei handfesten Muttis. Gewaschen wird Kopf nach vorn im Waschbecken; die Kundschaft kommt aus dem Quartier. Eine Kundin berichtet umstandslos von ihrer Angst vor neuen psychotischen Schüben, eine andere wird schon in der Tür begrüßt mit: „Hallo Bickelchen, du bist ja wieder aufgemotzt wie Zarah Leander!“ Später verrät die 87-Jährige kokett: „Ick bin nich leptisch, hör ma, datt ick hier die Chefin liebe, aber weisste, wenn de auch alleine bist, aber Streicheleinheiten fehlen, nich, irgendwie.“ Frau Bickel kommt jeden zweiten Tag.

Über eins freilich wird in Alice Agneskirchers Film nicht gesprochen: übers Geld. Wie es eine Ostberliner Rentnerin schafft, sich zwei- bis dreimal pro Woche auf Weltstadtniveau ondulieren zu lassen, bleibt ihr Geheimnis.

Reinhard Krause