Licht und Freude für Berliner Aleviten

Die Gemeinde der türkischen Aleviten eröffnete am Samstag ihr Kulturzentrum in einer ehemaligen Kirche in Kreuzberg. Zur Feier kamen auch ein zu Scherzen aufgelegter Innenminister und ein schweigsamer Innensenator    ■ Von Songül Çetinkaya

Vor der ehemaligen Neuapostolischen Kirche in der Kreuzberger Waldemarstraße warten am Samstag viele freudig gespannte türkische Gesichter auf das Eintreffen der Prominenz. Zur Eröffnung des neuen alevitischen Kulturzentums hat das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten e. V. (AAKM) zahlreiche Ehrengäste aus In- und Ausland geladen. Neben Innenminister Otto Schily (SPD) kommen unter anderem der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir, Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John, Innensenator Eckhart Werthebach (CDU) und der Bürgermeister von Istanbul-Kadiköy zur Eröffnung des sogenannten Cem-Hauses.

Das alevitische Kulturzentrum AAKM entstand bereits 1978 und war damals der erste alevitische Verein Deutschlands. Mit dem Ankauf der ehemaligen Kirche erfüllt sich das AAKM einen lang gehegten Wunsch. Jahrelang verfügte der Verein nur über behelfsmäßige Räume in einer Weddinger Etage, wo nicht alle Traditionen des Alevismus geachtet werden konnten.

Der Alevismus ist nach dem Sunnismus die zweitgrößte islamische Konfession der Türkei. Er ist geprägt durch eine betont humanistische und vernunftorientierte Grundhaltung, sowie durch seine enge Verbundenheit mit den Künsten. Der Alevismus ist keine missionierende Religion, vielmehr eine undogmatische und offene Kultur, in deren Weltanschauung Vernunft, Brüderlichkeit sowie Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen von höchster Bedeutung sind. Die „fünf Säulen“ des orthodoxen Islam – Glaubensbekenntnis, Gebet in der Moschee, Almosen, Pilgerfahrt nach Mekka, Fasten im Ramadan – spielen im Alevismus dagegen keine Rolle.

Seit der Gründung der Türkischen Republik 1923 gelten Aleviten als wichtigste Förderer von Laizismus und Demokratie. Noch heute jedoch wird dem Alevismus in der Türkei die staatliche Anerkennung verweigert. Doch seit einem Brandanschlag eines islamistischen Extremisten in der mittelanatolischen Stadt Sivas im Juli 1993, bei dem 37 teilweise sehr berühmte alevitische Musiker, Tänzer und Schriftsteller ums Leben kamen, entstand eine breite Solidaritätsbewegung im In- und Ausland. Sie führte bald zu einer Renaissance der alevitischen Kultur. In der Türkei leben heute etwa 20 Millionen Aleviten, in Berlin 30.000 bis 40.000.

Die wichtigste Zeremonie im Alevismus ist die Cem, eine Zusammenkunft der ganzen Gemeinde. Dabei intoniert ein Sänger und Lautenspieler das Glaubensbekenntnis zu Ehren der 12 Imame. Es handelt sich um Lieder religiösen, philosophischen oder sozialkritischen Inhalts. Über „Licht und Freude für die Herzen“, die zentralen Glaubenssäulen des Alevismus, sang er am Samstag – zum besseren Verständnis sogar auf deutsch. Denn Otto Schily, der von den türkischen Moderatoren betont als „unser Innenminister“ angekündigt wurde, hatte nämlich schon mit der Bedeutung des Wortes Cem-Haus seine Irritation gehabt. „Zuerst hatte ich gedacht, der Kollege Cem Özdemir wird hier in diesem Haus gewürdigt, doch ich habe mich eines Besseren belehren lassen“, versuchte Schily zu scherzen. So war er immerhin aktiver als Innensenator Werthebach, der den ganzen Abend teilnahmslos in der ersten Reihe hockte.

Özan Mutlu, der bei der Abgeordnetenhauswahl ein Kreuzberger Direktmandat für die Grünen gewann, hatte sich jahrelang für die Errichtung des Cem-Hauses stark gemacht. So durfte er am Samstag als letzter Redner sein Wahlkampfmotto „Für Bildung und Respekt“ nochmals betonen. Dies tat er mit den Worten von Ali, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammed und religiösen Führer der Aleviten: „Ein Weg, der nicht durch Wissenschaft und Bildung führt, der führt in die Dunkelheit.“