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Frischer Wind von der Baustelle

■ Der Rote Bereich und Thomas Borgmanns Alliance beim Jazzfest im Haus der Kulturen

Erst mal hören!“ lauteten die Worte, die Albert Mangelsdorff seinen Kritikern zum letztjährigen Jazzfest mit auf den Weg gab. Und auch in diesem Jahr waren geduldige offene Ohren das Gebot der Stunde, denn es galt einem Programm zu lauschen, in dem die Organisatoren einen unglücklichen Ton zwischen Behäbigkeit und Konzeptlosigkeit getroffen hatten.

Immerhin war die Berliner Szene, der immer wieder internationales Mittelmaß nachgesagt wird, am Freitagabend mit zwei Konzerten vertreten, die neugierig machten: mit der Band Der Rote Bereich und Thomas Borgmanns Alliance hatte man zwei Projekte verpflichtet, deren innovativer Spielansatz die öffentlich-rechtliche Beschaulichkeit des Festivals zu sprengen versprach. Aber „erst mal hören“.

Nach einer Stunde routiniertem Lounge-Jazz mit Bill Wares Vibes aus New York betrat Der Rote Bereich mit Gitarre, Bassklarinette und Schlagzeugsticks die Bühne. Angestachelt durch die müde Vorstellung der New Yorker Kollegen lieferten die drei Berliner ein ausgeschlafenes Set voller Groove, Witz und Raffinesse. Es war, als hätte jemand den Strom eingeschaltet. In der Flucht nach vorn mutierte das sonst so sensibel austarierte Trio zur hochintelligenten Garagenband, ohne dabei dem Jazz den Rücken zu kehren.

Furios! Schlagzeuger John Schröder entfacht ein Feuerchen, Gitarrist Frank Möbus brät schräge Ostinati, und Rudi Mahalls Bassklarinette tanzt dazu in wilden Sprüngen den Dolphy. Wären da nicht die klangsensibel ausgestalteten lyrischen Momente, dem Abkippen in cartoonhafte Weirdness stünde nichts im Wege. Und tatsächlich gelingt es den dreien mit ihrer ungezähmten Sophistication und Stücken wie „50.000 kleine Wichtigtuer“, einen Teil des Publikums in die Flucht zu schlagen und einen anderen schwer zu begeistern. Der Rest applaudiert anständig. So viel frische Luft enttäuschte dann doch manche Erwartung. Ganz anders das Konzert von Tenorsaxophonist Thomas Borgmann und seiner Alliance aus DDR-Saxophon-Koryphäe Ernst-Ludwig Petrowsky, Schlagzeuger Michael Griener und Rope-Elektroniker Jayrope.

Ihr Konzert ähnelte einer Baustellenbegehung im Frühstadium. Fantasiebegabten Zuhörern blieb viel Raum, sich auszumalen, wie das alles klingen könnte, wenn's fertig ist: Wie sich die beiden Saxophone aus dem Free-Gestus der 70er lösen und über das Bindeglied Schlagzeug mit einer von vorproduzierten Patterns befreiten Elektronik zu einem eigenen Klangraum verbinden. Vielleicht beim nächsten Mal.

Tatsächlich zu hören war leider nur Stückwerk. Den einfühlsam improvisierten Dialogen von Petrowsky und Borgmann hatte der ganze Elektrozauber nur wenig hinzuzufügen, auch wenn die gegenseitige Durchdringung von Elektronik und live gespielten Schlagzeugsounds stellenweise wirklich glückte. Mehr solche Wagnisse stünden dem Jazzfest jedenfalls gut zu Gesicht, denn nicht nur in Berlin wird experimentiert, auch in Amerika und anderswo gibt es mehr als „big names“ und Veteranen. Thomas Gläßer

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