Jazz und Wahnsinn

■ Wenn dir das zu hart ist, bist du zu weich: Bobby Conn trifft The Flying Luttenbachers

Popmusik ist immer dann besonders interessant, wenn sie inGrenzbereiche vorstößt. Ein wenig Genie und Wahnsinn muss schon sein. Eine volle Wagenladung davon ist natürlich noch besser, und deshalb ist die Kombination Bobby Conn, Entertainer von Teufels Gnaden, und Flying Luttenbachers, brutalste Jazzband der Welt, einfach unschlagbar.

Begnadete Songwriter, so lehrt die Popgeschichte, haben es immer schwer, weil ihnen stets ihr eigenes Genie im Weg steht. Nick Drake und Tim Buckley zum Beispiel haben sich immer verkannt gefühlt und sind viel zu früh aus dem Leben geschieden, und Typen wie Scott Walker und Harry Nilsson fristen ein Dasein als verkannte Helden, die immer zu entscheidungslos agierten, um wirkliche Popstars zu werden.

An diese Traditionslinie knüpft Bobby Conn nahtlos an. Er packt dazu noch jede Menge angeschmuddelten Glamour ins Image-Paket und bastelt aus sich selbst einen Weirdo mit unschlagbaren Entertainer-Qualitäten. Seine Stimme: großartig. Voller Pathos und Weltschmerz, Harry Nilsson und Tim Buckley lassen grüßen. Seine Songs: haben Ewigkeitswert, und wenn er „Without You“ von Nilsson covert, wird daraus eine schwelgerische Hymne, ein Epos, das das Original an Monströsität locker toppt.

In Interviews erläutert Bobby Conn gerne, warum er sich selbst einen Antichristen nennt, was er an Frauen liebt, die ihre Körperpflege vernachlässigen, und erweist sich auch sonst als erzählerischer Showman, der zu amerikanischem Fundamentalismus genauso etwas zu sagen hat wie zu den Gebrechen des Marxismus. Bobby Conn ist ein Crooner auf allen Ebenen.

Als Bobby Conn letztes Jahr schon einmal in Berlin gastierte, im Roten Salon, spielte in seiner Band am Bass the devil himself: Weasel Walter, den man niemals ohne seine Teufelshörnchen zu sehen bekommt. Diesmal schleppt Walter seine eigene Band mit, die völlig abartigen Flying Luttenbachers, ein Hardcore-Trio, das den schnellsten und gemeinsten Jazz spielt, den man sich vorstellen kann. John Zorn und sein Naked City-Projekt wirken dagegen wie eine Swingband. Zu dritt wird hier Krach gemacht, mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und sonst nichts.

In dieser klassischen Besetzung wird mit allen Akademismen und Jazzfest-Mätzchen aufgeräumt. Der Rausch der Geschwindigkeit und höchste kakophonische Verdichtung, das ist es, was zählt. Sind die Luttenbachers zu hart, bist du zu weich – und die Luttenbachers sind definitiv zu hart.

Zuerst Ohrenschmerzen, dann Wohlklang. Die Flying Luttenbachers und Bobby Conn sind zwei Antipoden, die zusammenkommen, um das Prinzip Popkonzert kaputtzumachen und ihm gleichzeitig eine verloren geglaubte Aufgeregtheit zurückzugeben. Was genau passieren wird, wenn tollwütiger Freejazz auf den begnadetsten Vaudeville-Entertainer unserer Tage trifft, weiß man nicht. Irgendetwas zwischen Genie und Wahnsinn auf jeden Fall.

Andreas Hartmann

Heute, 21 Uhr, Maria am Ostbahnhof