Indonesien soll kleiner werden

In der rohstoffreichen indonesischen Provinz Aceh gehen Hunderttausende friedlich für die Unabhängigkeit von Jakarta auf die Straße und fordern ein Unabhängigkeitsreferendum wie in Osttimor  ■   Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Über 500.000 Menschen haben gestern in der Provinzhauptstadt Banda Aceh für die Unabhängigkeit Acehs von Indonesien demonstriert. Es war die größte antiindonesische Kundgebung in der 54-jährigen Geschichte der Inselrepublik. Der Polizeichef von Aceh sprach gar von 1,5 Millionen Demonstranten, was einem Drittel der Bevölkerung der Provinz entspricht. Schon am frühen Morgen drängte sich die Menge auf dem Platz um die elegante weiße Baiturrahman-Moschee mit ihren schwarzen Kuppeldächern. Die Demonstranten trugen Stirnbänder mit der Aufschrift: „Freiheit“ und „Referendum!“. Zwei Stunden lang sprachen muslimische Politiker und Geistliche sowie Aktivisten verschiedener Unabhängigkeitsorganisationen. Alle wiederholten die gleiche Botschaft: Es gibt nur einen einzigen Weg, Acehs Probleme zu lösen – ein Referendum über die Zukunft der Provinz. Die Redner drohten mit einem Jihad (unablässigem Kampf), falls Jakarta den Wunsch der Acehnesen nicht befolge.

Polizisten und Militärs waren nicht zu sehen. Die 2.000 in Banda Aceh stationierten Polizisten wären auch völlig überfordert gewesen. So verlief die Kundgebung fast völlig friedlich. Etwa 400 Demonstranten seien zum örtlichen Gefängnis gezogen, wo sie 117 Häftlinge befreiten. Ab Mittag zerstreute sich die Menge vor der Moschee. Zu der Kundgebung, die den Namen „Beratende Volksversammlung der Kämpfer für ein Referendum“ erhielt, hatte ein Dachverband verschiedener Gruppen aufgerufen, das „Aceh-Referendum Informationszentrum“.

Für die Regierung in Jakarta, die auch in anderen Teilen Indonesiens mit Unabhängigkeitsbewegungen konfrontiert ist, ist die Demonstration eine ernste Warnung. So sagte der Chef des neuen Ministeriums für Regionale Autonomie, Ryaas Rasyid, er glaube, es bestände eine „fifty-fifty-Chance“ für die Provinz, sich von Indonesien zu lösen. Doch die Armee und mehrere Politiker der Regierung haben bereits gesagt, dass sie eine Trennung Acehs von Indonesien niemals akzeptieren würden: „Die Forderung nach einem Referendum ist nicht realistisch“, sagte Militärsprecher Sudrajat gestern. „Aceh ist ein Teil Indonesiens. Deshalb wird Aceh gemeinsam von den Bewohnern Acehs und der indonesischen Bevölkerung verwaltet.“ Separatismus verstoße gegen die Verfassung.

Nachdem der frühere Präsident B. J. Habibie Anfang dieses Jahres Osttimor ein Unabhängigkeitsreferendum in Aussicht stellte, sprang der Funke schnell nach Aceh über: Verlangten zuerst Studenten ein Referendum, so machte die „Bewegung Freies Aceh“, die seit 1976 bewaffnet für die Unabhängigkeit kämpft, sich diese Forderung bald zu eigen. Für sie ist ein Referendum gleichbedeutend mit Unabhängigkeit. Kompromissvorschläge – zum Beispiel über verschiedene Formen von Autonomie abzustimmen – lehnen die Organisationen in Aceh strikt ab.

Schon im April tauchten auf Straßen und Hauswänden Graffitis mit „Referendum Yes“ in indonesischer, acehnesischer und englischer Sprache auf. Gleichzeitig begannen aus dem Untergrund agierende Guerillagruppen, ihre Angriffe auf Soldaten, Polizisten und mutmaßliche Spitzel zu verstärken. Der damalige Armeechef Wiranto schickte neue Sondertruppen. Im Mai erschossen Soldaten 41 Menschen, als sie das Feuer auf eine Kundgebung eröffneten. Im Juli trieben Militärs 50 Besucher einer Islamschule auf ein Feld und richteten sie einfach hin.

Aceh zählt mit seinen großen Öl- und Erdgasvorkommen zu den reichsten Provinzen Indonesiens.

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