Druck kommt allein aus dem Material“

Mit Moritz Rinkes Stück „Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte“ beginnt heute an den Kammerspielen die Mobilmachung. Stefan Otteni und Martin Baucks, die neuen Leiter, wollen die großen Gefühle nicht der Popkultur überlassen  ■    Von Christiane Kühl

Eine Ehre ist eine solche Beförderung ohne Frage, aber majestätisches Logieren geht offensichtlich nicht damit einher. Das Zimmer, das man Stefan Otteni und Martin Baucks nach ihrer Ernennung zu den neuen künstlerischen Leitern der Kammerspiele des Deutschen Theaters als gemeinsames Büro zugeteilt hat, mutet eher wie eine Gebrauchtmöbelvariation an.

Die Vorhänge sind leicht vergilbt, und das alte Sofa sieht verdammt benutzt aus. Wird es auch, wie Stefan Otteni bestätigt: Ein Theater zu leiten, neu zu strukturieren und definieren und gleichzeitig als Regisseur ein Stück zu probieren – seine Inszenierung von Moritz Rinkes „Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte“ feiert heute Abend Premiere – führt zu kurzfristigen Erschöpfungszuständen. Spricht er über sein Theater, ist von Energieschwund jedoch nichts zu spüren. Man gewinnt im Gegenteil den Eindruck, Otteni könne nebenbei auch eigenhändig den geplanten Großumbau in der Schumannstraße erledigen.

Die Umgestaltung des Theaterraums ist für Otteni und Baucks wesentliche Grundlage ihrer Erneuerung der Kammerspiele. Statt bisher einer wird es künftig vier Spielstätten geben, die für unterschiedliche Schwerpunkte im Spielplan stehen. Auf der Guckkastenbühne sollen Produktionen gezeigt werden, die die Illusionsbox spielerisch dekonstruieren; ist wirklich die Intimität gefragt, für die die Kammerspiele einst von Max Reinhardt errichtet wurden, wird der Raum in eine Arena verwandelt, die die Zuschauer in größter Nähe um die Bühne herum plaziert. Geplant sind hier bislang Robert Musils „Die Schwärmer“ und Torquato Tassos „Aminta“.

Gegenwartsdramatik wird vor allem im neu erschlossenen Werkraum hinter der großen Bühne gezeigt werden. Für die Eröffnung im kommenden März sind bereits Biljana Srbljanovics „Familiengeschichten. Belgrad“ und die Uraufführung von Martin Baucks „Hasenfratz“ in eigener Regie vorproduziert. Auch Rainald Goetz' „Rave“ soll im Werkraum dramatisiert werden, und Andreas Dresen, der „Nachtgestalten“ erfolgreich ins Kino brachte, gibt sein Theaterdebüt. Am „undramatischsten“ gestaltet sich die Bespielung des Foyers. Unter anderem soll dort wöchentlich von unterschiedlichen am Haus arbeitenden Künstlern die aktuelle Ausgabe des Spiegels gespielt werden. Ob das Spaß und Erkenntnisgewinn bringt oder die schmerzlich bemühte Anschlusssuche des Traditionsmediums an die tagespolitische Wirklichkeit ist, werden erst die Inszenierungen zeigen.

Wir wollen weg von diesen wuchtigen Oschis, die ganz toll sein müssen“, erklärt Otteni, „es darf auch mal was Flüchtigeres sein.“ Der Spielplan ist ein Gewebe mit vielen Schnittstellen: Die Lebendigkeit der Ränder, so Baucks, soll „sich ins Zentrum tragen“. Es wird eine seine sanfte Unterwanderung werden: Die Kammerspiele bleiben Teil des konservativen Deutschen Theaters und teilen mit diesem auch das 54-köpfige Ensemble. Dass sie nur sechs Neuzugänge engagieren konnten, frustriert die beiden Theatermacher jedoch nicht: „Dieses Ensemble ist sehnsüchtiger, als es sich nach außen darstellt.“ Und weil sie überhaupt „viel zu viele liebenswerte Seiten am deutschen Theater“ kennen, sind die Thirtysomethings deutlich: „Was uns fern liegt, ist das Theater zu revolutionieren.“

Wenn Stefan Otteni und Martin Baucks zu Beginn des nächsten Jahres im umgebauten Haus Theater nach ihren Vorstellungen zeigen, stehen sie in harter Neuintendanten-Konkurrenz. Doch die Konzepte von Claus Peymann am BE oder Thomas Ostermeier/Sasha Waltz an der Schaubühne lassen sie kalt. „Konkurrenz motiviert nicht“, so ihr Credo, „Druck kommt allein aus dem Material.“ Mit Regisseuren, die sie daraufhin ausgesucht haben, ob „ihr Ego kleiner ist als ihr Wunsch, sich auszudrücken“, möchten sie Schauspielertheater auf die Bühne bringen, in dem „Individuen immer wieder über sich selbst hinauswachsen“. Die großen Gefühle dürften nicht Kino und Popmusik überlassen werden. „Jeder wird doch immer piefiger mit seinen Wünschen, weil die im öffentlichen Leben keinen Raum mehr haben.“ Zoo-Theater, das soziale Exoten ausstelle und die Welt kaputter zeige als sie sei, kann da nicht helfen. „Wir wollen Menschen zeigen, die sich aus ihren Verhältnissen befreien. Die souverän sind. Und wenn auch nur für drei Minuten.“

Ihnen selbst ist die künstlerische Leitung der Kammerspiele vom scheidenden DT-Intendanten Thomas Langhoff bis zur Saison 2001/02 übertragen worden. „Wir kommen so weit wir kommen in den nächsten zwei Jahren“, bemerkt Stefan Otteni lakonisch in Abwehr aller Jungintendanten-Hypes. Und grinst doch wie einer, der an das Über-sich-Hinauswachsen glaubt: „Das wird weit sein.“

„Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte“. Premiere, heute, 19.30 Uhr. Weitere Aufführungen am 12., 14., 16. und 17. November. Kammerspiele des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13a