Ein lästiger Stachel im Fleisch der Partei

■ Nach dem Rücktritt von Andreas Matthae geraten Junge Wilde der SPD unter Druck

Der aufmüpfige Nachwuchs der SPD gerät unter Druck. Mit Kritik an der Parteiführung haben die jungen Kreisvorsitzenden in den letzten Monaten nicht gespart, nun hat der erste die Quittung erhalten.

Andreas Matthae, der mit 31 Jahren jüngste der SPD-Kreisvorsitzenden, trat am Montag nach Querelen mit seinem Kreisvorstand zurück. Der Rücktritt wäre abzuwenden gewesen, wenn sich führende Kreuzberger Genossen wie Landeschef Peter Strieder, Landesvorstandsmitglied Ingeborg Junge-Reyer und die Abgeordneten Elga Kampfhenkel und Hajo Kohl hinter Matthae gestellt hätten. Doch auf ihre Unterstützung konnte Matthae nicht mehr zählen. Offenbar kam ihnen der parteipolitische Karriereknick des „unkontrollierbaren“ Nachwuchsstars ganz gelegen.

Vor allem Parteichef Strieder dürfte sich nach dem Rücktritt seines schärfsten Kritikers die Hände reiben. Denn mit ihrer Medienpräsenz war es den Jungen Wilden in den letzten Monaten gelungen, den Landesvorstand immer wieder in Zugzwang zu bringen. Sie legten Fehler im Wahlkampf bloß, machten auf inhaltliche Schwachstellen aufmerksam. Meist war ihre Kritik konstruktiv, doch für den Parteivorstand waren sie dennoch ein lästiger Stachel im Fleisch der Partei. Den Zustand der SPD beschrieben sie nach der Wahlniederlage in dem Papier „Erneuerung jetzt“ als „geistig ausgelaugt, personell ausgedünnt und überaltert.“

Als sich im Frühjahr die SPD-Führungsquadriga aus Momper, Strieder, Fugmann-Heesing und Böger formierte, schlossen sich fünf junge Genossen zum so genannten Quintett zusammen: Mit von der Partie waren die Kreisvorsitzenden Christian Gaebler (Wilmersdorf), Swen Schulz (Spandau) und Andreas Matthae (Kreuzberg) sowie der Sprecher des Donnerstagskreises, Matthias Linnekugel, und die stellvertretende Marzahner Kreisvorsitzende Kerstin Raschke. Alle sind der Parteilinken zuzurechnen.

Ihren großen Coup landeten sie bei der Wahl zum Landesvorstand im Juni 1998: Schulz, Raschke und Linnekugel wurden dank geschickter Kungelei im Vorfeld in den Vorstand gewählt. Der Vormarsch der Jungen ging auf Kosten des mächtigen Reinickendorfer Kreisvorsitzenden Reinhard Roß, eines Parteirechten. Wo früher die Kungelrunde der Rechten, der Britzer Kreis, und die Kungelrunde der Linken die Besetzung von Posten unter sich ausmachten, stört eine dritte Kungelrunde die eingefahrenen Mechanismen. Die Generation der 50-Jährigen, die in der SPD am Ruder ist, erlebt dies offenbar als Bedrohung ihrer Machtbasis. Für sie wird die Lage zunehmend unübersichtlich.

Werden die jungen Kritiker nun ausgebremst, oder wird zumindest ein Teil von ihnen eingebunden? Eine Frage, die sich in den nächsten Monaten entscheiden wird. Als erste Nagelprobe werden sich bereits die Wahlen zum SPD-Fraktionsvorstand erweisen. Statt bisher 6 Stellvertreter wird es künftig nur noch 4 Vizefraktionschefs geben. Da ist es nicht sicher, dass Gaebler seine Position behaupten kann. Auch seine moderate, wohlüberlegte Kritik an der SPD stößt nicht immer auf Begeisterung.

Gaebler, dem Genossen seines Kreisverbandes bescheinigen, dass er als Kreisvorsitzender „an Profil gewonnen“ hat, steht noch eine weitere Bewährungsprobe bevor. Wegen der Bezirksfusion von Charlottenburg und Wilmersdorf wird es künftig auch nur noch einen Kreisvorsitzenden geben. Gaebler wird sich bei der Wahl im März 2000 gegen den Wilmersdorfer Kreisvorsitzenden Rudolf Kujath behaupten müssen.

Wer von den jungen Kritikern stärker eingebunden wird, erlebt jedoch schnell, dass auch dies seine Tücken hat. Der 34-jährige Gaebler, der bei den Koalitionsverhandlungen die Unterarbeitsgruppe Verkehr leitet, wird als möglicher Staatssekretär gehandelt, falls das Ressort Bauen/Verkehr/Stadtentwicklung der SPD zufällt. Doch das untergräbt zugleich seine Glaubwürdigkeit als Kritiker von Koalitionsverhandlungen. Denn wer sich parteiintern profiliert, steht ohnehin im Verdacht, ein Pöstchenjäger zu sein.

Allen Versuchen der SPD-Führung, das Quintett zu spalten, haben die fünf bislang widerstanden. In Zukunft wollen sie verstärkt weitere junge GenossInnen einbinden, mit denen sie auch schon bisher zusammengearbeitet haben. Die Speerspitze des Nachwuchses soll verbreitert werden.

Dorothee Winden