Gesinnungsmatsch

Revisionslyrische Ramschrevue: Franz Wittenbrink inszeniert Enzensberger „Der Untergang der Titanic“ am Schauspielhaus  ■ Von Birgit Glombitza

Der Untergang ist auch nicht mal das, was er einmal war. Statt Heulen und Zähneklappern und einem ängstlichen Griff in die Lostrommel einer ultimativen Glaubenstombola, bloß Bedauern um die letzten Trüffel auf dem Buffet der Borniertheiten. Das Ende, eine reine Frage des Geschmacks. – Wir gehen unter, dürfte ich mal das Salz haben? „Der Anfang vom Ende ist immer diskret.“ So heißt es in Hans Magnus Enzensbergers Langgedicht Der Untergang der Titanic. Geschrieben nach seiner Zeit auf Kuba, das er 1968 als Revolutionstourist ein Jahr bereiste, erzählt es scharfzüngig von einer kläglichen Havarie der Überzeugungen. Denn der Traum vom allseits besseren Leben unter kommunistischer Flagge zerplatzte weitaus schneller, als er sich zuvor anlesen ließ. Das Fazit für einen bekennenden Antimoralisten, der sich hier verblüffenderweise im moralischen Größenwahn erprobte, fällt bitter aus. Mehr karibische Freiheit als in einer gutgerollten Havanna gibt es eben nicht. Gerechtigkeit wird eine Frage für den Kaffeesatz, und die Sehnsucht ist nun einmal alkohollöslich. Ein Toast auf den Weltschmerz.

Der Untergang der Titanic ging bezeichenderweise auf dem Postweg nach Deutschland verloren. 1977 ließ Enzensberger in einer Art Zweitschrift sein kubanisches Ich noch einmal auf- und wieder abtauchen. Das Scheitern der Utopien am Eisberg der Wirklichkeit, davon bleibt in der Inszenierung von Anselm Weber und der Vertonung von Franz Wittenbrink zum 70-ten Geburtstag des Dichters nur ein albernes Kräuseln auf der Oberfläche übrig. Eine Revue aus wort- und strophenreich durchgesungenen Tableaus, denen etwas mehr Eigensinn gut gestanden hätte.

Frauen und Männer in Schwarz und Weiß, mit Sektschalen hinter abgespreizten Fingern oder im Tango vor bedenklich schiefem und recht blutrotem Horizont. Ein Untergang wie aus dem Bilderbuch des nostalgisch gestimmten Kleinbürgertums. Webers Regie überläßt jedem Schauspieler eine handvoll Posen und gelegentlich Momente für beliebig scheinende Einzeldarbietung. Dem Text hat weder die uninspirierte Musik noch die kaum ambitioniertere Regiearbeit etwas hinzuzufügen. Wittenbrink nimmt sich die Enzensberger-Lyrik wie eine Büttenrede zur Brust und entscheidet sich bei seiner Vertonung stets für das Naheliegende. Melancholisches bekommt den Blues, in die Jahre gekommene Revoluzzervisionen werden mit Altherren-Rock auf einem blinkenden Che-Guevara-Gerüst als Dämlichkeit gleich doppelt verschnürt.

Wo keine Geste, kein Ton wirklich etwas zu sagen weiß, was der Text nicht schon längst aufs Schärfste formuliert hat, gerät alles Gesinge zu stumpfer Geschäftigkeit. Möwenkacke und Sturztrunkene sind schon die ganzen Sensation. Doch so billig ist eine Verbrüderung zwischen bitterböser Revisionlyrik und konsumentenfreundlichem Schunkeln nicht zu haben. Der Untergang der Titanic bleibt bis zum Schluss ein seltsame Veranstaltung. Ein Theater, das den Ton des Süffisanten anschlägt, um dann hier mal einen Kalauer, da mal eine Redlichkeit abzugrabschen. Die Inszenierung weiß aus dem Stoff keine neuen Funken zu schlagen und behandelt ihn wie ein Stück Gesinnungsmatsch vom Mars. Damit herumzuwerfen ohne etwas anderes außer eben eine Schlammschlacht zu wollen, ist ein Leichtes, hat wenig Witz und eine Haltung schon gar nicht. Doch hingerissen von der eigenen Begeisterung, steigert sich die Ramschrevue am Ende in einen Schluckauf der Verzögerungenen. Und noch ein Rauschen. Ein Blubbern. Eine Diskretion. Ein Anfang vom Ende.

Schauspielhaus, 14. Nov., 15 Uhr, 27. + 30. Nov., 20 Uhr