Tour-Tagebuch
: Belarus-Orden und der dramatische Abschied von Anny

■ Die Bremer Band „missing link“ hat eine einwöchige Konzert-Tournee durch Weißrussland gemacht. Bandgitarrist Jakob Nebel hat die abenteuerliche Reise im Tagebuch dokumentiert. Teil 4: Die Kunst, einen Fan loszuwerden und einen Bus zu betanken

Eine Woche lang tourte das Bremer Quintett „missing link“ durch Weißrussland. Eingeladen hatten die Jugendringe aus Deutschland, der Schweiz und Weißrussland, die in Minsk ein Jugendfestival organisiert hatten. Mit auf der Reise: neben den Bandmitgliedern (Gitarrist Jakob, Keyboarder Raphael, Drummer Til, Bassist Felix, Sänger Sebastian) der Tourbusfahrer Jochen, Tontechniker Boris sowie das Trio Thomas, Kersten und „Jkl“ vom Hannoveraner Fernsehsender TVN.

Samstag, 9. Oktober: Der DJ hält einen Vortrag und wir geben das zweite umjubelte Konzert.

11.30 Uhr: Palast der Jugend. Das Festival nähert sich seinem Höhepunkt. Außer uns spielen heute noch vier bekannte weißrussische Bands, sowie „Ferdinand“, eine Kapelle aus der Schweiz. Echt witzige Jungs übrigens. Zuvor aber hält der DJ einen Vortrag über „die Entwicklung der Medienlandschaft in Deutschland“ oder so ähnlich. Macht er echt gut, eher albern kommt dagegen der eingeschobene Promofilm daher. Aber egal, muss wohl so sein. Jochen zumindest ist schwer beeindruckt. Aber auch ein bisschen wütend, weil der DJ ihm aus heiterem Himmel vor versammelter Meute ein Statement zum Film abgerungen hat. Hat er dann aber dennoch sehr souverän hingelegt. Nichtsdestotrotz sinnt er jetzt auf Rache.

Felix und unser Shouter Sebas-tian pennen übrigens immer noch selig im Hotel. Die gilt es jetzt abzuholen. Wobei wir uns erst mal hammermäßig verfahren. Die Boulevards sind nämlich so im Raster angelegt, daß man nix wiedererkennt. Finden tun wir's dann auch nur, weil ich einen Taxifahrer verpflichte und der gute Mann vorweg fährt.

18 Uhr: Essen im Jugendpalast (das erste wirklich weißrussische!). Es gibt Raniki, ähnlich wie Kartoffelpuffer mit saurer Sahne. „Hm, ist ja doch gar nicht so übel.“ Die Anfangsskepsis in der Mannschaft scheint langsam überwunden.

21 Uhr: Showtime. Nachdem der Stagemanager unseren Auftritt dreimal verschoben hat. Das Publikum tobt, obwohl ein immens großer Sicherheitsgraben samt postierter Miliz den direkten Kontakt zur Bühne verhindert. Nach dem Konzert ist wieder kein Halten und wir sind schnell umzingelt. Die Autogrammsession ist diesmal noch länger. Wir scheinen uns zu steigern. Anny ist wieder da und schenkt mir ein Armband. Außerdem bekommen Sebastian und ich von einem Fan jeweils einen Belarus-Orden angesteckt. Diesmal werden auch die ersten Interviews an die lokale Musik- und Schülerpresse gegeben. Dabei mache ich leider die Bekanntschaft von Alla, „Producer and a songs poet“. Die läßt mich nicht mehr in Ruhe. Wir treffen Tonmann Vadim wieder, der uns und fünf weibliche Fans zum Szene-Club „Alternativa“ leitet. Dieser Club ist besser als alles, was ich bisher in Deutschland erlebt habe. Liegt vielleicht auch ein bisschen daran, daß man hier missing link spielt und wir außerdem von allen Seiten angesprochen werden.

5 Uhr: Ich bin todmüde und muss in die Koje. Dramatischer Abschied von Anny.

6 Uhr: Jochens Rachefeldzug. Er und Jkl malen dem DJ mit Cajal-Stift das Gesicht voll mit lustigen Narben, Striemen und Bart. Nebenbei wird das ganze gefilmt. Lange nicht mehr so gelacht.

Wieder nur vier Stunden Schlaf.

Sonntag, 10.Oktober: Pelmeni, Streitereien und ein verhinderter Gig

Heute sind wir bei Irina zum Essen eingeladen, also wird quer durch die Stadt eingekauft. Am beeindruckendsten bleibt dabei KOMAROVSKI RINOK, die größte Markthalle des Landes, wo man ganze Schweinsköpfe am Haken baumeln sieht.

16 Uhr: Nachdem wir alle (mit der Kamera im Rücken) schnippelnd und Teigtaschen formend in Irinas Küche gestanden haben, gibt es Pelmeni (ursprünglich aus Sibirien, ähneln den chinesischen Wan-Tans). Die Gastfreundschaft von Irina und ihrer Mutter ist überwältigend. Till sitzt neben mir und kippt vor Müdigkeit fast vom Stuhl. Langsam fragen wir uns, wie wir noch zwei Abende auf der Bühne hinter uns bringen sollen.

21 Uhr: Der erste richtige Streit. Jochen und Thomas lassen es so richtig krachen, der Grund ist eigentlich eher banal. Trotzdem erstaunlich, dass sich der permanente Stress der letzten Tage erst jetzt entlädt. Aber gerade Jochen ist wirklich am Rande seiner Belastbarkeit, was auch allzu verständlich ist. Unglücklich ist nur, daß er sich in seinem Ärger ausgerechnet an den DJ Thomas W. wendet, wo der doch in den letzten Tagen einen Mammutanteil der Organisation übernommen hat, ohne auch nur ein bisschen zu quengeln. Außerdem ist er hier eigentlich der Umgänglichste von allen.

22.30 Uhr: Kleine Tank-Anekdote: Der Tankwart gibt bekannt, dass er an Busse nicht „ausschenkt“, lässt sich nach langen Verhandlungen aber doch auf mickrige 20 Liter Diesel ein. Jochen ist alles andere als zufrieden und hakt nach: „Wenn ich jetzt mit einem Kanister zum Auffüllen käme, könnte ich das doch beliebig oft wiederholen, oder?“ Ja, das stimmt. „Und was ist, wenn ich mit dem vollen Kanister dann immer sofort zum Bus gehe und den Tank damit fülle?“ Nein, das geht nun wirklich nicht.

Jochen hat noch nicht vollständig akzeptiert, dass es in Belarus Mechanismen gibt, die nicht mal die Weißrussen selbst verstehen und flippt erst mal 'ne Runde aus.

Ansonsten komme ich heute noch zu der Ehre, eine echt filmreife, illegale Geldtauschaktion im Minsker Untergrund mitzuerleben. Da stehen Typen, vor denen selbst Sergej Angst kriegt, und das will schon was heißen.

24 Uhr: Party der Festivalorganisatoren im Discoclub „Arab Snack“. Wir sollten hier eigentlich spielen, sind aber viel zu spät. Außerdem gibt es hier gar kein Mischpult und überhaupt (was meine Schuldgefühle aber nicht wirklich mindert).

Der Abend wird dann doch noch ganz spaßig. Wir machen Bekanntschaft mit sehr, sehr viel Wodka und tanzen dann drei Stunden lang zu lustigem Techno-Müll ab. Auf einmal ist große Aufbruchstimmung: Wir müssen in sechs Stunden in Mosyr sein. Bevor wir dann aber wirklich losfahren, lässt Sebastian erstmal den Wodka oben wieder rauslaufen und liegt danach wie ein Gespenst in seiner Koje. Jakob Nebel

Foto: Thomas Wegner

Von „missing link“, der Bremer Band für Alternative/Crossover, sind bislang zwei CDs erschienen: Sie heißen „out of season“ und „ahead“. Konzert am 10. Dezember ab 18 Uhr im Schlachthof