Zu jung, um stopp zu sagen“

■  Am Montag ist Lester Bowie gestorben. In einem seiner letzten Interviews sprach der Trompeter über die Zukunft der Great Black Music und seinen Erzfeind Wynton Marsalis

Der Trompeter Lester Bowie gehörte zu der Sorte Männer, die ihre Zigarre auf der Straße rauchen und sich dabei fotografieren lassen. Sein weißer Laborkittel, den er bei Konzerten trug, symbolisierte den Entwicklungscharakter seiner Musik, die er mit dem Art Ensemble of Chicago und seiner Band Brass Fantasy spielte. Von der „New York Times“ wurde Bowie als innovativster Stilist der jüngeren Jazzgeneration gefeiert.

Als der heute 38-jährige Trompeter Wynton Marsalis Anfang der 80er-Jahre nach New York kam, begann die neokonservative Revolution in der amerikanischen Jazzszene. Bowie wurde einer seiner profiliertesten Widersacher, weil er in der Führungstätigkeit von Marsalis beim Jazz At Lincoln Center den Ausverkauf der Jazztradition an ein weiß-bourgeoises Konzertsaalpublikum sah. Doch seit Anfang der 90er-Jahre wählten die Kritiker der Fachzeitschrift „Down Beat“ nicht mehr Bowie, sondern Marsalis zum besten Trompeter. Am Montag starb Lester Bowie neunundfünfzigjährig in einem New Yorker Krankenhaus an Leberkrebs.

taz : Unmittelbar nach den Riots in Los Angeles 1992 nahmen Sie mit Ihrer Brass Fantasy den Billie-Holiday-Klassiker „Strange Fruit“ auf. Auch in Interviews haben Sie immer wieder für ein politisches Engagement von Jazzmusikern plädiert. Haben Sie jemals eine positive Wirkung solcher Initiativen erfahren? Ist Ihre Great Black Music in den Staaten bekannt?

Lester Bowie: In den Staaten ist man gegen Kultur. Man möchte nicht, dass die Menschen etwas über sich und ihre Herkunft erfahren. Es reicht, wenn sie Fernsehen schauen. Damit sind heute alle Künste in Amerika konfrontiert. Wir machen harte Zeiten durch. Die Amerikaner mögen sich zudem nicht mit afrikanischen Einflüssen identifizieren. Alles Afrikanische oder Asiatische ist ihnen suspekt und verhasst, sie wollen das reine Amerika. Das ist sehr befremdend, da sie einen wichtigen Teil ihrer Geschichte einfach negieren. Und das wird nicht gut gehen. Amerika wird sich auch mit der Black Art identifizieren müssen. Und ich habe das Gefühl, dass diese Zeit naht. Es werden diesmal keine billigen Ausflüchte mehr akzeptiert.

Sie haben sich häufig zu sozialen und politischen Missständen in Nordamerika geäußert und auch Sympathien für den schwarzen Nationalistenführer Louis Farrakhan bekundet. Warum?

Die Black Community ist in einem schlechten Zustand. Aber man wird sich dieser Tage mehr und mehr der Entwicklungen bewusst, die dazu geführt haben. Die Philosophie eines Martin Luther King war nicht so effektiv, wie man Anfang der 60er-Jahre gehofft haben mag. Da wird gerade viel revidiert, und ich bin guter Dinge, dass das auch zu positiven Veränderungen führen wird. In der Musik ist es ähnlich. Was wir vor 30 Jahren begonnen haben, also unser Engagement für Veränderung, wird eines Tages hoffentlich Früchte tragen. Man muss eben verstehen, dass Musik ein Ausdruck des Lebens ist. Und insofern ist sie natürlich auch immer ein politisches Statement. Aber als Musiker arbeiten wir vor allem an einer Veränderung der Musik. Nur gewisse Kritiker haben gerade den politischen Aspekt bei uns reichlich überbewertet, weil sie zu einer musikimmanenten Kritik nicht in der Lage waren.

Wynton Marsalis, der eine Redefinition des alten Jazz favorisiert, bemängelte immer wieder, dass der schwarzen Avantgarde musikalische Ausbildung und die Fähigkeit fehle, ihr Instrument zu beherrschen. Sie bezeichneten Marsalis im Gegenzug als „pisspot teacher“ und Klon. Gibt es nach all dem noch seriöse Kritikpunkte?

Diese Musiker sollten nicht als kreative Jazzkünstler präsentiert werden. Ihre Musik hat keinerlei Entwicklungsmoment. Sie kopieren die alten Sachen, und genau so klingen sie auch. Es ist heute einfach, Clifford-Brown-Soli nachzuspielen, und dabei war doch gerade Browns Musik einst vor allem sehr aktuell und neu. Aber das begreifen die Klons von heute eben nicht, es geht um die Entwicklung neuer Sounds, neuer Ideen und neuer musikalischer Aussagen. Das ist die eigentliche Tradition: die permanente Evolution und Revolution dieser Musik. Wer sich darum nicht kümmert, wird der ewige Kopierer bleiben.

Sie werfen Marsalis Verrat an den heiligen Werten des Jazz vor: Kreativität, Innovation, individueller Stil. Und bezeichneten ihn als Treppenwitz der Jazzgeschichte, aber es kam ernster. Wynton Marsalis wird von „Time Magazine“ heute zu den einflussreichsten Amerikanern gezählt.

Und dennoch: Diese Jazz-Mafia am New Yorker Lincoln Center ist nichts weiter als ein Jazzkalauer. Und wir verstehen einfach nicht, warum sie ausgerechnet uns als Feindbild brauchen. Ich meine, sie haben die Jobs und das Geld; wir haben nichts. Wir nehmen diese Jungs jedenfalls nicht ernst, es sei denn, dass wir etwas zum Lachen brauchen.

Ist der Aufstieg des Wynton Marsalis nun das Synonym für den Ausverkauf schwarzer Kultur an das weiße Establishment? Ist Marsalis gar ein Held der afroamerikanischen Community? Oder beutet er die schwarze Kultur nur zum eigenen Vorteil aus?

Es geht dabei nur um Marketing. Die Medien wollen die Kontrolle über die Entwicklung dieser Musik, und dazu nahmen sie junge, unerfahrene Handwerker. Und es schadet ja auch nichts, wenn sich dadurch der Plattenverkauf steigern würde. Aber mit der real music und den real cats hat dieser Hype um Jugend und Jazz überhaupt nichts zu tun. Die Youngster, die dem Hype folgten, sind keine respektierten Musiker. Die Community hat von Anfang an über sie geschmunzelt, und inzwischen weiß doch jeder, dass es mehr Sinn macht, sich die Originale anzuhören. Wer Musik der 50er hören will, kauft sich die alten Platten. Great Black Music ist die Musik der Gegenwart. Sie hat noch keine jahrhundertealte Geschichte. Sie ist zu jung, um jetzt stopp zu sagen. Wir wissen viel zu wenig über ihre Zukunft. Und genau an der sollte man heute arbeiten.

Interview:

Christian Broecking