"Wir brauchen die Luft zum kommunizieren"

■ Ludger Wöste, 52, ist Professor für Physik. Er nutzt das Vakuum bei seinen Forschungsarbeiten an der FU Berlin. Das Vakuum ist wissenschaftlich interessant und kann von daher gut genutzt werden

taz: Guten Morgen. Wo kommt das Vakuum her?

Ludger Wöste: Seine Existenz und die Gewalt der auf uns lastenden Atmosphäre hat Otto von Guericke 1656 in Magdeburg demonstriert. Er hat zwei Halbkugelschalen aus Kupfer aufeinandergelegt und mit einer Pumpe evakuiert. Dann spannte er an jede Seite acht Pferde, die es nicht schafften, die Kugel auseinanderzuziehen. Als Guericke aber Luft in die Kugel ließ, fiel sie auseinander.

Wo gibt es das beste Vakuum?

Im Weltraum. Mein persönliches Vakuum realisiere ich aber im Labor. Dort stehen verschiedene Bottiche. Jeder ist mit Pumpen versehen. Die pumpen Luft oder Gas aus dem Bottich heraus. Erst wenn der Bottich ziemlich leer gepumpt ist, können wir von Vakuum sprechen. Wir haben etliche Pumpen an einem Bottich, so kommen wir in etwa an das heran, was im Weltall natürlich existiert.

Gibt es auch ein Leben im Vakuum?

In der Form, wie wir uns das Leben vorstellen, ist es sehr schwierig. Wir brauchen ja Luft zum Atmen. Und darum können wir im Vakuum nur leben, wenn wir uns einen Anzug anziehen, der uns mit Luft versorgt – also in etwa einen Astronautenanzug

Das Dasein im Vakuum macht wohl ziemlich einsam.

Ja. Diesbezüglich mache ich mit meinen Studenten immer gerne einen Versuch: Ich hänge eine Klingel in den Bottich, den ich dann evakuiere. Sobald er luftleer ist, hört man das Klingeln nicht mehr. Sie sehen: Wir brauchen die Luft nicht nur zum Atmen, sondern auch zum Kommunizieren.

Kennen Sie auch eine traurige Vakuum-Geschichte?

Das erste Lebewesen, das ins All geschossen wurde, war 1957 die Hündin Laika. Sie wurde mit dem Sputnik II hochgeschossen. Damals gab es noch keine Möglichkeit, von dort zurückzukehren. Und deswegen musste Laika ganz einsam sterben. Sehr viele Menschen waren traurig. Ich vermute, Laika ging am Schluss die Luft aus, weil der Bottich, in dem sie saß, davon nicht genügend an Bord hatte. Aber auch heute ist ein Spaziergang im All immer noch ein gefährlicher Gang, der in die absolute Isolation führen kann. Denken wir etwa daran, was beinahe bei Apollo 13 geschehen wäre, als den Astronauten nahezu die Luft ausging.

Könnte man im Vakuum glücklich sein?

Ich halte – abgesehen von der Schwerelosigkeit – den Weltraum oder das Vakuum nicht für etwas Erstrebenswertes, um dort Gefühle zu erleben. Das Vakuum ist wissenschaftlich beziehungsweise technisch interessant und kann von daher sehr gut genutzt werden.

Wozu?

Weil die Naturvorgänge, wenn sie von Luft umgegeben sind, oft schwer zu verstehen oder zu beherrschen sind. Uns interessieren die elementaren Vorgänge, wie sie im Atom oder im Molekül ablaufen. Im Vakuum können wir ein Teilchen sehr lange beobachten, ohne dass es mit anderen zusammenstößt. Wir können sehen, wie sich das Teilchen beispielsweise verhält, wenn es nur mit Licht bestrahlt wird und sich dabei verändert. Solche Experimente sind im Vakuum am einfachsten realisierbar.

Da würde Luft nur stören?

Ja. Sie würde das System, das wir untersuchen wollen, stören. Wir sind also Nutzer des Vakuums. Das Vakuum steht nicht im Mittelpunkt der Forschung, sondern die Fragen, die sich mit seiner Hilfe klären, wenn keine Luft die Beobachtung stört.

Interview: Annette Rogalla