Fieberhafte Suche nach neuen Märkten

■  Weil daheim keine großen Zuwächse zu erwarten sind, führen deutsche Verlage in ganz Europa einen erbitterten Kampf um die Gunst der Leserinnen. Der polnische Zeitschriftenmarkt ist bereits mehrheitlich in deutscher Hand

Berlin (taz) – Wenn alle Polinnen gleichzeitig die Kioske stürmten, würde jede von ihnen am Ende mindestens zwei Frauenzeitschriften in der Hand halten. Diese Rechnung des polnischen Politmagazins Polityka könnte bald auch auf Rumänien zutreffen. Olivia heisst das jüngste Projekt des Axel-Springer-Verlages, das seit vorvergangenem Freitag in rumänischen Läden ausliegt: Mode, Kosmetik und Wellness auf kompakten 124 Seiten für umgerechnet 1,60 Mark. Erst vor zwei Wochen hatte das Verlagshaus bekanntgegeben, dass es zum Januar dreizehn Jugendzeitschriften der Schweizer Marquard Media AG übernimmt – darunter Popcorn, Mädchen und Miss Beauty in Polen, Ungarn und Rumänien.

„Das Schwergewicht unserer Aktivitäten liegt klar auf dem osteuropäischen Raum“, bestätigt Pressesprecher Kay Overbeck. Mit der Flaute im Inland haben die Großverlage das internationale Geschäft entdeckt. Unter dem Expansionskurs der Deutschen leidet vor allem die einheimische Konkurrenz.

Als das Geschäft mit den Publikumszeitschriften Ende der Siebzigerjahre immer schleppender lief, wagte Gruner + Jahr als erster Großverlag den Sprung über die Grenzen – den Erfolgstitel Geo im Gepäck. Die Strategie der Hamburger: ein Konzept für viele Märkte. Doch den Durchbruch brachte erst eine radikale Blattreform – hin zu einem seichten General-Interest-Magazin, das ein französisches Team produziert. Heute erwirtschaften die Auslandstöchter von Gruner + Jahr mit insgesamt 40 Titeln rund 57 Prozent des Umsatzes, der im Geschäftsjahr 1998/99 rund 5,4 Milliarden Mark betrug. Die Aussicht auf Zuwächse lockte bald auch die Konkurrenz: Springer ging 1983 in Spanien mit Prima an den Start, zwei Jahre später lancierte der Bauer-Verlag in Frankreich die Frauenzeitschrift Maxi.

Daheim ist für die Branchenriesen kaum noch etwas zu holen. Gruner + Jahr, Springer, der Heinrich-Bauer-Verlag und Burda besitzen zusammen einen Marktanteil von über 60 Prozent. Immer neue Titel drängen auf den Markt (allein 1997 waren es 79), dabei stagniert die Gesamtauflage seit langem. Fieberhaft suchen die Verlage daher nach neuen Absatzmärkten – seit der Wende 1989 vor allem in Osteuropa.

Lokomotive für den Ost-Boom ist der Werbemarkt: Während das Anzeigengeschäft in Westeuropa und den USA seit zehn Jahren kontinuierlich schrumpft, schätzen Experten das Werbevolumen in Mittelosteuropa im kommenden Jahr auf rund 18 Milliarden Mark. Die zahlungskräftigen Verleger aus dem Westen nutzten die Gunst der Stunde, um sich ihr Stück vom Kuchen zu sichern. Bereits 1988 gründete Springer ein Tochterunternehmen in Ungarn, weitere Niederlassungen in Polen, Tschechien und der Slowakei folgten. Nur der kleine Burda-Verlag tat sich mit eigenen Titeln und Tochterunternehmen im Ausland lange Zeit schwer – obwohl der ausgegliederte Spezialverlag Aenne Burda schon seit den 50er-Jahren Schnittmuster in alle Welt exportierte. Erst Mitte der 90er-Jahre hat der Benjamin unter den deutschen Großverlagen zur Offensive auf die Auslandsmärkte geblasen – bezeichnenderweise gleich in Polen und Tschechien.

Statt auf teure Hochglanzgazetten wie die amerikanische und französische Konkurrenz setzen die Deutschen im Ausland auf bewährte Billigware. Wie Springer (Bild-Familie) und Bauer (Bravo-Titel) haben alle Verlage ihre Titel zuvor bereits auf dem deutschen Markt erprobt. Doch der Fall Geo hat eines gezeigt: Um Käufer anzulocken, reicht es nicht aus, die bewährten Konzepte einfach zu kopieren. „Eine Zeitschrift hat nur dann Erfolg, wenn sie von Leuten gemacht wird, die das Land kennen“, sagt Springer-Pressesprecher Kay Overbeck. Einheimische Redakteure schneiden die – politisch unverdächtigen – Titel mundgerecht auf den Zielmarkt zu.

Mit den populär gestrickten Mode- und Jugendzeitschriften stießen die Deutschen in Osteuropa in eine Marktlücke. Während die französische Elle aus dem Hause Hachette Filipacchi Medias mit 8 Mark für die Durchschnittsrussin nahezu unerschwinglich ist, lockt Burda mit Verkaufspreisen unter 1 Mark.

Die Verlierer des Preiskampfes sind die einheimischen Blätter: So sank die Auflage des von der polnischen Proszynski GmbH herausgegebenen Poradnik Domowy (Häuslicher Ratgeber) innerhalb von vier Jahren von drei auf nur noch eine Million. Der Zeitschriftenmarkt ist in Polen inzwischen mehrheitlich in deutscher Hand.

Bei ihrer Suche nach neuen Käufern hatten sich die Verlage aus Kostengründen bislang auf wenige ausgewählte Länder beschränkt. Doch auch auf den Ostmärkten sind die goldenen Gründerjahre vorüber. Amerikanische und britische Verleger wie Condé Nast und Pearson machen Springer & Co. das Leben schwer. Die Folge: Die Deutschen schrecken inzwischen selbst vor Ländern nicht mehr zurück, um die sie angesichts ihrer wackeligen Wirtschaftslage zunächst einen großen Bogen gemacht haben. Nachdem sich Bauer 1997 mit Bravo nach Rumänien gewagt hat, zieht nun auch Springer nach – trotz der noch immer desolaten Absatzstrukturen.

Angesichts der immensen Kosten eines Markteintritts kann es sich kein Verlag leisten, dass ein Titel im Ausland floppt. Allein der Start von Auto-Plus in Frankreich hat Springer laut werben&verkaufen 45 Millionen Mark gekostet. Die Verlage haben eigens internationale Abteilungen aufgebaut, die detaillierte Stategiepläne erstellen: Bei Gruner + Jahr lenkt Auslandschef Axel Ganz seit 1991 die zwölf Filialen von Paris aus. Der 1996 gegründete Burda Verlag Osteuropa entwickelt ausschließlich Objekte für den Ostmarkt.

Am Auslandsgeschäft beteiligen sich denn auch nur noch die finanzkräftigen Großverleger. Doch immer häufiger müssen auch sie Allianzen mit lokalen oder ausländischen Partnern eingehen, um Kosten und Risiken zu teilen. So ist der Burda-Verlag ein 50/50-Joint-Venture mit dem italienischen Verlag Rizzoli Corriere della Sera eingegangen (Burda RCS International Holding). Nach Italien und der Türkei wollen sie nun gemeinsam den asiatischen Markt in Angriff nehmen.

Der Zwang zur Kooperation treibt zuweilen seltsame Blüten. So gibt Gruner + Jahr in Deutschland gemeinsam mit der französischen Groupe Marie Claire die gleichnamige Modezeitschrift heraus. In Frankreich hingegen kämpft die Konzerntochter Prisma Presse mit harten Bandagen gegen den Konkurrenten.

Nicole Maschler