Wiener Protest gegen das „Würschtel Haider“

F-Hetze und SP-Gesetze sind das Letzte“: Lautstarker Unmut auch über den Rechtstrend der Regierung  ■   Aus Wien Ralf Leonhard

Ein Meer von Blinklichtern, Kerzen und Feuerzeugflammen erleuchtete am Freitag den abendlichen Stephansplatz im Herzen Wiens, als die Plattform „Demokratische Offensive“ ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzte. Zehntausende füllten in einer symbolischen Geste die historischen Straßen und Plätze Wiens, wo Jörg Haider zwei Tage vor den Nationalratswahlen vom 3. Oktober in seiner Schlussveranstaltung mit seinen fremdenfeindlichen Parolen seine Sympathisanten zum Toben gebracht hatte. Die Manifestation richtete sich aber nicht nur gegen Haiders FPÖ, der die Wahlen erstmals den zweiten Platz in der Parteienhierarchie beschert hatten. Rassismus wird auch der provisorisch amtierenden Regierung aus SPÖ und ÖVP vorgeworfen, die den Ausländern mit einer rigiden Gesetzgebung und menschenverachtenden Abschiebepraxis das Leben schwer macht. „F-Hetze und SP-Gesetze sind das Letzte“, skandierten die Demonstranten.

Seit dem legendären Lichtermeer, als 1993 mehr als 200.000 Menschen in Wien auf die Straße gingen, um Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren zurückzuweisen, hatte die Stadt keine so machtvolle Demonstration mehr gesehen. Im Vorfeld der Veranstaltung war jedoch betont worden, dass man kein zweites Lichtermeer wolle, das den Politikern reihenweise Lippenbekenntnisse entlockt, aber nichts bewirkt habe. Tatsächlich seien die Forderungen aus Haiders Volksbegehren von der Regierung Punkt für Punkt umgesetzt worden. Mit dem Ergebnis, dass heute sogar neugeborene Babys legal in Österreich lebender Ausländer unter die immer kleinere Zuwanderungsquote fallen. „Haider wäre ein armes Würschtel ohne die Perspektivlosigkeit unserer Regierung“, meinte die Journalistin Eva Rossmann. Und Heide Schmidt vom Liberalen Forum erklärte, als drittreichster Staat der EU hätte Österreich genügend „Reserven, die es möglich machen, zu teilen“.

Beeindruckt durch die Solidarität mit Ausländern erklärten sich jetzt die „Freiheitlichen“ Haiders selbst zur schutzwürdigen Spezies. Sie gaben vergangene Woche die Gründung einer „Schutzgemeinschaft“ gegen psychische und physische „Abwatschung“ bekannt. Für Wähler, die sich in ihrer Würde verletzt fühlen, soll sogar ein Gratisrechtsschutz organisiert werden.

Jörg Haider hatte wohl nicht rein zufällig wenige Stunden vor der Demonstration eine Grundsatzrede in der Hofburg angesetzt, bei der er sich einmal mehr von Rassismus und Nationalsozialismus distanzierte. Er habe „niemals braune Schatten akzeptieren“ wollen. Für „unsensible und missverständliche Äußerungen“ zum Holocaust und zur Nazizeit entschuldigte er sich ausdrücklich. Für die politischen Kommentatoren hat Haider Kreide gefressen, um sich auf den Eintritt in die Regierung vorzubereiten. Denn die seit Wochen andauernden Sondierungsgespräche von SPÖ-Chef Viktor Klima kommen nicht voran. Sein Wunschpartner für eine Koalition, die christdemokratische ÖVP, gibt sich spröde und will in die Opposition. Mithin wächst in der SPÖ der Flügel, der mit dem bisherigen Innenminister Karl Schlögl an der Spitze eine Koalition mit Haider eingehen will.