Ohnmachtsgefühl im Bazargewühl

■  Für Interrailer eine gute Gelegenheit, die alten Horrorgeschichten aus Marokko noch einmal aus der Erinnerung zu kramen: das TV-Movie „Urlaub im Orient“ (Sat.1, 20.15 Uhr)

Marokko und Interrail, wie war das nochmal? Staubig und skurril. Und unverständlich sowieso. Das Stück Orient eben, welches Europa am nächsten liegt. Und so schön billig. Ein guter Grund, Marokko zum Ziel mehr oder weniger gelungener Eisenbahn-Trips zu machen. Und vielleicht auch der für Regisseur Michael Wenning („Der Clown“, „SK Babies“), die Handlung seines Streifens dorthin zu verlegen.

Zwar lässt der Titel des Großen Sat.1-TV-Romans eine wüste islamische Gruselstory vermuten, irgendwo zwischen „Harem“ und „Nicht ohne meine Tochter“. Doch es geht zunächst ohne Orientkitsch. Jungarzt Martin und Freundin Nina sind verliebt und Gewinner einer Reise, auf der sie anfangs schadlos durchs Hotel-Leben planschen. Es tauchen pittoreske Einheimische auf, weiterhin eine mysteriöse Klinik und nicht minder unverständliche Todesfälle. Denn es ist gar nicht so ungefährlich in Marokko. Unversehens werden fünfzig Kamele für die blonde Freundin geboten, wird der Interrailer überfallen oder geht verloren in den Souks. Das kennt man aus einschlägigen Railererzählungen und blumigen Reiseführern.

Auch die deutschen Urlauber im Film spekulieren mit gesundem Halbwissen darüber – schon ist sweet Nina verschwunden und eine weitere Touristin tot. Die Hotelführung agiert wenig vertrauenserweckend, das deutsche Konsulat ist weit, und so muss sich der wackere Martin sich von Gott und Rechtsstaat verlassen allein durchschlagen. Schön gruselig ist es, ihn ohne Französisch durch den nordafrikanischen Kosmos schlingern zu sehen. Von solcher Verlorenheit und Ohnmacht könnten Interrailer einen ganzen Gebetsruf heruntersingen.

Aber die Originalität ist dahin, als sich Martin mit einem orientalischen Akteur verbrüdert. Der spricht deutsch, Gastarbeit sei Dank. Marokko tritt in den Hintergrund, wird Dekoration für die kitschige Männerfreundschaft – und in den Dialogen grüßt die Daily Soap.

Nun ist so ein Großer TV-Roman sicher kein Lehrstück über marokkanische Gesellschaftsverhältnisse. Aber der Interrailer findet sich in freundlichen Details bestimmt wieder, hastet mit durch verwinkelte, orientalische Gassen, fürchtet sich vor finsteren Staatsschergen und bekommt noch einmal Darmgrippe an einer der legendären Orangensaftbuden, wie einst.

Warum allerdings widerwärtige Medizinerpraxis im Menschenversuch automatisch die Grundlage für einen Thriller hergeben sollen, bleibt unklar. Die rührende Freundinnen-Rettung geht bestenfalls als Krimi durch. Und ist schon gar kein Abenteuerfilm, Reiseerlebnisse hin oder her. Der Produktionsetat scheint begrenzt gewesen zu sein: Verfolgungsjagden und Materialschäden verlieren sich, ebenso Stürze oder halsbrecherische Gefahr. Keine Szene mit mehr als zehn Beteiligten. Und um über sein Los glaubhaft zu heulen, muss sich Hauptakteur Felix Eitner erst einmal eine Flasche Stilles Wasser über den Kopf schütten. Damit das Ganze trotzdem dramatisch rüberkommt, wird fast ununterbrochen ein breites Musikspektrum bemüht – von der Klassik bis zum lethargischen Getrommel.

Da hinein hat Wenning eine Art medizinisches Touristik-Verbrechen inszeniert. Obwohl die Überraschungen begrenzt sind, halten unappetitliche Machenschaften die Sache unterhaltend. Immerhin sind die wahren Bösewichte westlich und keine Fundamentalisten, der Orient bleibt schuldlos an den ungehörten Schreien. Geldgier und skrupellose Weißkittel machen sich überall gut, warum ihnen also nicht auch in Marokko das garstige Handwerk legen.

Und vielleicht ging die Filmjagd in der Stadt Taroudant tatsächlich vorbei an einem kleinen Interrailer. Der mag nachgegrübelt haben, ob er je seine Freundin im Bazargewühl noch einmal wiederfinden würde. Ob das gut ausging? Wer weiß. Marget Steffen