Vergebliches Lebenslang

■ Trotz Verurteilung in Italien bleibt der 91-jährige SS-Mann Engel auf freiem Fuß

Rom (taz) – Die Mühlen der Justiz mahlen in Italien so langsam wie überall. Weit über ein halbes Jahrhundert nach der barbarischen Erschießung hunderter Gefangener, Partisanen und Zivilpersonen hat das Militärgericht in Turin den ehemaligen SS-Standortkommandanten von Genua, Siegfried Engel, zu lebenslanger Haft verurteilt. Engel ist 91 Jahre alt.

Konkret sah es das Gericht nach mehreren Monaten Prozessdauer als erwiesen an, dass Engel zum Beispiel 1944 ein Massaker angerichtet hat, das zum Tod von 147 italienischen Gefangenen führte. Engel hatte sich, so die Anklage, nicht einmal die Mühe gemacht, ein standrechtliches Verfahren durchzuführen. Bei dem Urteil stützte sich das Gericht auf Kriegsdokumente, die Untersuchungen von Historikern und auf die Aussagen zweier Zeugen, die dem Blutbad entkommen waren.

Engel selbst, der bei Hamburg lebt, war dem Prozess ferngelieben. Gelegentlich berichteten die Medien allerdings von bösen Polemiken Engels gegen die angeblich parteiische und unfähige italienische Justiz. Diese hatte sich jedoch seit der Anklageerhebung ziemlich großzügig gezeigt. Es gab keinen Haftbefehl gegen Engel. Der angeklagte SS-Kommandant hätte also jederzeit mit freiem Geleit an den Verhandlungen in Italien teilnehmen können.

Nach dem Urteil gegen Karl Hass, den Mittäter am Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom, ist dies der zweite späte Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher in Italien. Hass erhielt 1997 zehn Jahre Haft, wurde aber auf freien Fuß gesetzt. Möglicherweise sollen jetzt noch weitere Prozesse folgen, weil neue Dokumente auch andere Verbrechen einer Aufklärung näher bringen.

Natürlich wird Engel seine Strafe nicht antreten müssen, auch wenn sie in der Revisionsinstanz Bestand hat. Sein hohes Alter schützt ihn mit Sicherheit vor den Gefängnis. Dennoch erklärten sich Überlebende und die Angehörigen der Opfer zufrieden mit dem Ausgang des Prozesses: „Wenigstens kann dieser Mann nun nicht mit unbescholtenem Leumund sterben“, bringt die Tochter eines der Hinterbliebenen die Stimmung auf den Punkt. Der italienische Senator Raimundo Ricci hob die „große moralische Bedeutung“ des Urteils hervor.

Gleichwohl überlegen sich einige Nebenkläger, ob sie nach der Verurteilung nicht auf zivilrechtlichem Wege Schadenersatz einfordern sollen. Anders als die Auslieferung, die von Grundgesetz wegen nicht durchgeführt werden darf, könnten Urteile gegen das Eigentum Engels womöglich auch in Deutschland vollstreckt werden.

Werner Raith