Fixierte Erinnerungen

Im Besonderen das Allgemeine finden: Das Metropolis widmet der Taiwanischen Nouvelle Vague eine Retrospektive  ■ Von Olaf Möller

1984 war das entscheidende Jahr in der Genese des modernen chinesischen Kinos: In Hongkong wurde die Joint Declaration unterzeichnet, während Tsui Hark seinen Film Work-shop gründete – zwei Fakten, die äußerlich nichts, filmhistorisch jedoch verdammt viel miteinander zu tun haben: Es entstand Hongkong Post/Modernism Ltd. –, in der Volksrepublik China inszenierte Chen Kaige mit Yellow Earth das erste wesentliche Werk einer mittlerweile als „Fünfte Generation“ bekannten Bewegung, alldieweil in Taiwan Edward Yang Dechang mit That Day, on the Beach das erste Meisterwerk der sogenannten Taiwanischen Nouvelle Vague schuf.

Es ist außerdem das Jahr der Großen Spaltung: China war nun auch künstlerisch in drei sehr verschiedene Länder geteilt. Entscheidend für diese filmischen Erneuerungsbewegungen war, dass ihre Macher – die Regisseure, Autoren etc. – durch die Bank ,Einheimische', Kinder ihres jeweiligen Landes waren, sie genau diese Heimat und ihre Geschichte untersuchten. Bis dato gab es eine ungeheure Fluktuation zwischen den verschiedenen Ländern. Regisseure wie etwa King Hu Jinquan oder dessen Mentor Li Hanxiang arbeiteten in allen drei Ländern – das Land, dass sie stets in ihren Filmen beschrieben, war ein China, das es in der Wirklichkeit längst nicht mehr gab, ein Mythos. Lis gewaltiges Meisterwerk The Winter (1969) etwa hätte nicht unbedingt in Taiwan entstehen müssen.

Anders dagegen Hou Xiaoxien, Edward Yang Dechang, Wan Ren, Chen Kunhou, Ke Yizheng, oder Tao Dechen: Sie wurden allesamt entweder auf Taiwan geboren, oder kamen so früh dorthin, dass ihr eigentlicher Geburtsort für ihre Identität keine große Rolle mehr spielte. Sämtliche Betrachtungen der Taiwanischen Nouvelle Vague konzentrieren sich auf die Werke von Hou Xiaoxien und Edward Yang Dechang: Zum einen, natürlich, weil sie zwei der weltweit bedeutendsten, ostasiatischen Filmemacher der letzten 20 Jahre sind, zum anderen aber auch, weil sie sich Taiwan, wenn man so will, räumlich aufgeteilt haben: Hous Kino spielt eher auf dem Land, Yangs hingegen eher in der Stadt. Hous einziger urbaner Film unter seinen wirklich großen Werken zählt bezeichnenderweise zu seinen am wenigsten bekannten Arbeiten: Daughter of the Nile von 1987. Hous Inszenierungsstil wie auch seine Art des Erzählens wirkt dementsprechend ,ganzheitlich', er bevorzugt in sich geschlossene Szenen, die er häufig in genauen Plansequenzen filmt; der „Städter“ Yang hingegen fragmentiert seine Geschichten meist extrem, verwebt die Erfahrungen einer Gruppe von Menschen zu einem Bild ihrer Zeit.

Das Metropolis zeigt im Rahmen einer Taiwan-Reihe jeweils einen ihrer Filme: Voller Wehmut gehe ich noch einmal entlang der Straßen des Lebens / Dust in the Wind (1987) von Hou Xiaoxien und The Terrorizers (1986) von Edward Yang Dechang. Letzterer dürfte für deutsche Zuschauer von sehr speziellem historischen Interesse sein: Yangs Inspirationsquelle war nämlich die Geschichte der RAF. Dennoch ist bei dieser Leseweise Vorsicht angebracht, weil man seinen Film genauso als Metapher für den Weißen Terror der Kommunistenhatz in den frühen 50ern lesen muss – oder als filmischen Essay über Verstädterung und Einsamkeit im Allgemeinen.

Hous Film hingegen ist der abschließende Teil einer losen Trilogie über seine Kindheit und Jugend, die mit The Boys from Fengkue (1984) und Das Vergehen der Kindheit / The Time to Love, the Time to Die (1985) begann. Hou verzettelt sich dabei nicht in nostalgische Autobiografismen: gezeigt werden die Szenen der Vergangenheit aus einer aus der Sicht einer Gegenwart. Hou rekonstruiert nicht seine Kindheit, sondern fixiert seine Erinnerungen daran. Das Ergebnis, bei Hou wie bei Yang, ist ein Kino, das in der Genauigkeit der Betrachtung des Besonderen das Allgemeine findet. Mehr kann Kino eigentlich nicht leisten.

The Peach Blossom Land: 18. 11., 19 Uhr (mit Gästen) + 20.11., 17 Uhr The Terrorizers: 23. 11., 19 Uhr + 24.11., 19 Uhr Dust in the Wind: 25.11., 21.15 Uhr + 26.11., 17 Uhr Osmanthus Alley: 28.11., 17 Uhr + 30. 11., 19 Uhr, alle Metropolis