Locker in den Hüften

■ Der eigensinnige Oldenburger Filmemacher Karl Heinz Heilig hat einen Film über einen ganz eigensinnigen alten Schweizer gedreht, der 70 Jahre lang an seinem Traumhaus im Fels gebaut hat

Wenn ein Oldenburger einen Film über einen Schweizer dreht, kann dabei eigentlich nur etwas Langsames, Bedächtiges herauskommen – wie bei „La casa delle favole“ („Das Haus der Märchen“) von Karl Heinz Heilig. Viele Zuschauer vor allem in Schweizer Programmkinos haben den neuen Film des Oldenburger Dokumentarfilmers bereits gesehen. Zwei Vorstellungen in der Oldenburger Uni waren restlos ausverkauft. Und auf der Nordseeinsel Baltrum hält sich der Film wacker gegen „Die Braut, die sich nicht traut“ (mit Richard Gere!).

In dem Dokumentarfilm zeigt Heilig, wie sich ein Schweizer mit dem Bau eines Hauses im Felsen seinen Lebenstraum erfüllt. 70 Jahre lang baute er an seinem Paradies in der Felsenschlucht. Heilig fängt die Magie dieses Ortes mit der Kamera ein und lässt den 85-Jährigen auch von seinem abenteuerlichen Leben zwischen Bern und Casablanca erzählen, von seinen Reisen und dem baldigen Abschied für immer.

„Was hat der alte Schweizer, das ich nicht habe?“, könnte Frauenschwarm Richard Gere sich fragen. Und vor allem: Was fasziniert einen norddeutschen Filmemacher an diesem Mann so, dass er ein Jahr Arbeit und entsprechend Geld in den Film investiert? – „Dieser Mann lebte vor, dass man sich mit etwas Beharrlichkeit seinen Lebenstraum verwirklichen kann, statt ein Leben lang nur davon zu träumen. Das hat mir Mut für mein eigenes Leben gemacht“, erklärt Heilig. Und Mut brauchte er bei den Dreharbeiten, denn kein Sender wollte den Film anfangs haben: zu unspektakulär auf den ersten Blick. Als das Geld ausging und die Bankkredite aufgebraucht waren, mussten Freunde und Sponsoren einspringen. Jetzt, fast ein Jahr nach der Produktion, kommt der Durchbruch.

Die Botschaft des Films, nämlich Mut zum eigenen Leben, überträgt sich auf die Zuschauer. Deshalb zeigen ihn inzwischen auch Suchtzent-ren und Kliniken wie das Herz-Zent-rum Bad Krozingen. Ärzte und Psychologen nutzen das Aufbauende und Ermutigende für therapeutische Zwecke. Mit der Idee, dass Sucht und Krankheit ihren Ursprung im unerfüllten Leben haben, versuchen sie mit dem Film, Patienten für Gespräche zu öffnen und sie vor die Frage zu stellen: „Wie steht es um deinen Lebenstraum?“ „Ganz weich sind die Leute nach dem Film“, erzählt Heilig.

Und sein Lebenstraum? – Heilig ist Autodidakt, Jahrgang 1953, in Oldenburg geboren und aufgewachsen. Seit seinem zwölften Lebensjahr träumte er vom Filmen. Mit kleinen Super-Acht-Filmen fing alles an. Vor allem der frühe Tod der Eltern weckte den Wunsch, „Leben im Film festzuhalten“. Später filmte Heilig seine Umgebung und auf Reisen, etwa einen viermonatigen Wandertrip durch Lappland – auch so ein Film, in dem auf den ersten Blick nicht viel los ist.

Architekt oder Förster wollte er werden. Eine kuriose Kombination. Nach dem Studium der Forstwissenschaft in München und Göttingen sowie der Stadtplanung in Oldenburg organisierte Heilig Naturseminare. In der Nähe von Bremen gründete er ein Umweltzentrum, machte Waldführungen und versuchte, mit seiner Liebe zum Wald andere anzustecken: Mit VW-Arbeitern etwa, die ihn zunächst für verrückt erklärten und dann begeistert waren, tanzte er im Wald.

Nach fünf Jahren packt ihn schließlich wieder die alte Lust am Film. 1989 schickt er ein Skript an den WDR, der prompt Sendeplatz freischaufelt und Heilig mit einer über zwei Jahre laufenden Dokumentationsserie über Waldthemen beauftragt. Natur und Architektur – darum ranken sich sieben Jahre Arbeit für den Sender. Heiligs Filmographie liest sich stellenweise wie der Prospekt einer ökologischen Baufirma: „Bauen mit Lehm“, „Solararchitektur“, „Leben unter Glas“, „Bauen mit Holz“, „Niedrigenergiehäuser“.

Aber er dokumentiert nicht nur, sondern baut auch selbst. Sein eigenes Haus ist aus Recycling-Materialien (vulgo: Abfall) gebaut. Alles, was Bauschutt, Container und Sperrmüll hergaben, ist in dem Gebäude verarbeitet: alte Fenster, Holzpaletten, Bruchsteine, Balken aus Abriss-häusern. „Diese Art von Hausbau ohne festen Plan und Vorstellung lässt einen riesigen Freiraum für Kreativität“, schwärmt er. Nebenbei wurde Heilig zum Spezialisten für alte Handwerkstechniken.

2.000 Mark (in Worten: zweitausend) hat das Haus gekostet und natürlich viel, sehr viel Zeit. Der WDR hat den Bau damals in einem Film dokumentiert und wurde von 20.000 begeisterten Zuschriften überschwemmt. „Einen alten Traum habe ich mir damit verwirklicht“, gesteht er, und da blitzt dann auch wieder das Leitthema seines aktuellen Films durch. Und wo wir schon die ganze Zeit beim Träumen sind, vertraut er mir auch noch seinen größten Lebenstraum an, den er sich zurzeit erfüllt: ein Spielfilm über das Thema Abschied. Eva Tenzer

„La casa delle favole“ ist im Rahmen der Oldenburger Filmtage am 19.11. um 20 Uhr im Alhambra und am 10.12. im PFL zu sehen. Programm und Programmtipps links auf dieser Seite