Ende des Drogenmythos“

■  Pino Arlacchi, Direktor der UNO-Behörde für Drogenkontrolle und Verbrechensprävention, plädiert für einen politischen Dialog und einen unideologischen Ansatz zur Rauschmittelbekämpfung

taz: Nach Jahren des Pessimismus verbreitet Ihr Amt vorsichtige Hoffnung im Kampf gegen den illegalen Rauschmittelhandel und Drogenmissbrauch. Warum?

Pino Arlacchi: Nach den Informationen, die meine Behörde in den vergangenen Jahren gesammelt hat, können wir eine Neubewertung der Problematik durchführen. Wir haben Grund zur Annahme, dass das Problem nicht mehr so unüberwindlich ist, wie man früher glaubte. Die Erfahrungswerte beseitigen den Mythos, der vordem den Drogenhandel und die damit befassten Verbrecherorganisationen umgeben hat. Man kann das Problem mit politischen Vereinbarungen und finanziellen Mitteln überwinden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Da gibt es etwa der Rückgang des Kokaanbaus in Peru und Bolivien, den beiden Ländern mit der bis vor kurzem höchsten Kokainproduktion der Welt. In Peru gab es 1998 gerade noch 51.000 Hektar Anbaufläche für Kokasträucher – 50 Prozent weniger als 1995. In Bolivien gingen die Flächen innerhalb eines Jahres, von 1998 auf 1999, um 46 Prozent auf 14.000 Hektar zurück.

In Kolumbien ist die Lage etwas komplizierter: Hier hat der Anbau wohl zugenommen, aber nicht in dem Maß, wie er anderswo zurückgegangen ist. Die kolumbianische Regierung hat ein großes Problem mit den Rebellen, deren größte Organisationen, die FARC und die ELN, de facto einen Großteil der Rauschgiftpflanzungen kontrollieren. Präsident Andrés Pastrana bemüht sich jedoch energisch, alle Gruppen zur Einleitung eines Friedensprozesses an den Verhandlungstisch zu bringen.

Entspricht die lateinamerikanische Entwicklung überhaupt dem weltweiten Trend?

Die neuesten Zahlen besagen, dass die weltweite Produktion von Kokain Ende 1998 an die 800 Tonnen betragen hat, eine Reduktion um mehr als 10 Prozent seit Beginn der 90er-Jahre. Damit hat sich der Trend der 70er- und 80er-Jahre faktisch umgekehrt. Es ist noch zu früh, um schon von einer definitiven Reduktion zu sprechen, aber immerhin können wir sagen, dass weltweit gesehen zumindest eine Stagnation eingesetzt hat. Und das ist eindeutig ein positives Zeichen.

Was sind die Ursachen für diese Entwicklung?

Die neue Tendenz geht wohl auf verschiedene Faktoren zurück. Die mehrjährige Unterbrechung der so genannten Luftbrücke zwischen Peru und Kolumbien hat den Kokaanbau in den Hauptpflanzungsgebieten Perus wesentlich weniger profitabel gemacht als früher. Zahlreiche Bauern hören derzeit mit dem Kokaanbau auf. Verstärkte gesetzliche Maßnahmen, vermehrte Angebote für alternative Pflanzungen haben ebenso wie die zusätzlichen Bemühungen um die Minderung der Nachfrage die Philosophie des Anbaus in der Andenregion stark verändert. Tatsächlich sind die politischen Vereinbarungen, mit denen in diesen Gebieten der Drogenhandel dauerhaft unterbrochen wurde, ohne Beispiel in der neueren Geschichte dieser Gegenden.

Ihre Erfolgsbeispiele beziehen sich auf den Kokaanbau. Wie sieht es aber bei der Heroingewinnung aus?

Die weltweite Produktion von Opium – die Basis für die Heroingewinnung – wird sich 1999 auf etwa 6.000 Tonnen belaufen, ein Äquivalent von ca. 600 Tonnen Heroin. Afghanistan, dessen Produktion 1999 auf etwa 4.500 Tonnen geschätzt wird, steht für 75 Prozent der weltweiten Produktion, Birma für etwa 1.300 Tonnen. Diese beiden Länder stehen also für 97 Prozent des gesamten Opiatanbaus. Und das ist eine für die Bekämpfung wesentlich günstigere Situation als noch vor einigen Jahren, als der Anbau auf viele verschiedene Länder verteilt war.

Wie kam es zu der Verringerung der Produktion in diesen anderen Ländern?

Unsere Behörden haben in Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen vielerorts die Schlafmohnproduktion weitgehend beseitigt. Noch 1980 wurden in Pakistan mehr als 800 Tonnen Opium hergestellt. Heute ist Pakistan ein faktisch heroinfreies Land. Das liegt allerdings auch an der Änderung der Transferwege, die jetzt über die ehemaligen GUS-Staaten nach Westeuropa verlaufen.

Kürzlich habe ich Laos besucht und ein Abkommen mit dem dortigen Staatspräsidenten geschlossen für ein Sechsjahresprogramm zur völligen Ausschaltung des illegalen Opiumanbaus. Im Libanon, speziell im Bekaa-Tal, einst eines der Hauptanbaugebiete von Cannabis und Schlafmohn, wurde die Opiumproduktion völlig eingestellt, der Cannabisanbau auf geringe Zahlen zurückgefahren. Auch in Thailand gab es eine Minderung um 80 bis 90 Prozent gegenüber 1970, die Produktion beläuft sich auf gerade noch 10 Tonnen pro Jahr. Und die Bauern dort haben aufgrund unserer Alternativprogramme einen höheren Lebensstandard als früher.

Kann man wirklich auf eine weitgehende Reduzierung des Drogenanbaus hoffen, wenn die Nachfrage unverändert ist?

Natürlich: Rauschmittel werden ja hergestellt, weil es eine Nachfrage dafür gibt. Doch auch hier gibt es ermutigende Veränderungen. In den USA zum Beispiel ist die Quote der „Monatskonsumenten“ [d. h. der Personen, die mindestens einmal im Monat illegale Drogen einnehmen] von 14 Prozent der Gesamtbevölkerung 1970 auf 6 Prozent 1997 zurückgegangen. Von 1985 bis 1997 ist der Kokainmissbrauch, in den USA noch immer das größte Drogenproblem, um mehr als zwei Drittel gesunken, von 3 auf 0,7 Prozent. Die Dauerkonsumenten sind von 6 Millionen 1985 auf weniger als 2 Millionen geschrumpft. Das sind ermutigende Zahlen.

In Westeuropa ist der Heroinkonsum aber nach wie vor ein Problem.

Auch in Westeuropa, wirtschaftlich gesprochen der größte Heroinmarkt der Welt, gibt es positive Veränderungen. Seit 1994 ist ein leichter, aber kontinuierlicher Rückgang zu beobachten. Der Heroinkonsum stagniert in großen Teilen Westeuropas. Die Zahl neuer Konsumenten in Deutschland zum Beispiel ist den offiziellen Zahlen nach zwischen 1992 und 1997 um 30 Prozent zurückgegangen. Spanien registrierte zwischen 1991 und 1995 einen Rückgang der nach Überdosis in Notfallstationen eingelieferten Personen um 44 Prozent.

Liegt das nicht am Umsteigen der Verbraucher auf synthetische Drogen?

Nur zum Teil, auch wenn wir das Problem der synthetischen Drogen natürlich – bei mittlerweile weltweit an die 30 Millionen Konsumenten – sehr ernst nehmen. Mehr als der Umstieg scheint uns allerdings die Diversifizierung des Kampfes gegen die Heroin- und Kokainsucht die Nachfrage zu dämpfen. Zahlreiche Länder beschreiten da neue Wege als die vordem reine Repressionspolitik, etwa das Zusammenspiel von sozialem Betreuungssystem, Rehabilitation und Reintegration. Allerdings sind nicht alle Modelle, wie etwa das der Schweiz, automatisch auf andere Länder übertragbar, schon weil hier ungeheure Finanzmittel nötig wären, die die Kraft vieler Staaten übersteigen.

Welche Politik kann da Ihre Behörde betreiben?

Zunächst einmal müssen wir das Problem ganz neu und ganz anders durchdenken. Anstelle des lähmenden Gefühls einer unabweisbaren Krise muss eine präzise Beurteilung dessen treten, was die Politik auszurichten vermag. Nicht Defätismus muss das Motto sein, sondern Pragmatismus. Der politische Dialog zur Suchtkontrolle darf nicht mehr von Ideologie geprägt sein, sondern von Erfahrungswerten. Die Politiker müssen hier auch besser informiert sein.

Interview: Werner Raith