Die Pille zum gesünderen Essen

Gesundheitspräparate widersprechen dem Vollwertgedanken und gehörten deshalb bisher selten zum Inventar der Ökoläden. Jetzt deutet sich eine Wende an  ■   Von Danièle Weber

Stuttgart (taz) – Du musst essen, was auf den Tisch kommt, hieß es früher. Heute reicht das vielen nicht mehr. Der Gesundheitsmarkt boomt und mit ihm der Handel mit so genannten Nahrungsergänzungsmitteln. Nicht nur SportlerInnen greifen regelmäßig zusätzlich zu Pulver und Pillen, die Fitness und Abwehrkräfte steigern sollen. Auch bei denen, die ansonsten eher auf Vollwert-Ernährung setzen, sind die Präparate stark im Kommen.

Auf Messen wie der Pro Sanita sind diese modernen Food-Produkte schon länger nicht mehr zu übersehen. Die „Internationale Ausstellung für Gesundheit und Natur“ wurde in diesem Jahr um die Fachmesse für „Gesunde Ernährung, Nahrungsergänzung und Naturkosmetik“ erweitert. „Wir wollen den Weg ebnen, damit gesunde Produkte viel breiter als bisher vermarktet werden können“, kündigt Walter Gehring, Geschäftsführer der Stuttgarter Messegesellschaft an.

Die Deutschen scheinen für solche Präparate besonders empfänglich zu sein. Sie geben dafür immerhin 1,5 Milliarden Mark pro Jahr aus, in ganz Europa wird der Umsatz auf 2,5 Milliarden Mark geschätzt. Tendenz steigend. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Frost & Sullivan soll der europäischeMarkt bis 2004 gut 3,3 Milliarden Mark hergeben.

Die Motivation, mit der die VerbraucherInnen zum aufbauenden Präparat greifen, ist ganz unterschiedlich. Während die einen ihren ohnehin schon sehr gesundheitsbewussten Lebenswandel weiter komplettieren wollen, setzen andere darauf, so die Folgen regelmäßiger Gesundheitssünden wie des Verzehrs von Mikrowellenpizza, Tütensuppen oder Currywurst auszugleichen.

Nachdem die Pharmaindustrie den Markt bislang alleine abgedeckt hat, will nun auch die Ökobranche mitverdienen. Allerdings geht die Öffnung gegenüber den meist keineswegs natürlich aussehenden Produkten in Kapsel-, Tabletten, oder Pulverform nicht ohne Grundsatzdebatten ab.

„Eigentlich sind solche Produkte nicht mit den Prinzipien der Vollwerternährung vereinbar“, sagt Reinhard Langerbein, Leiter des Ressorts „Verarbeitung und Warenzeichen“ bei Bioland. Wer gesunde Bionahrung zu sich nehme, brauche keine zusätzlichen Mittel. Bei der modernen Öko-Kundschaft, die kaum noch in lila Latzhosen, dafür immer öfter in Anzug und Krawatte herumläuft, werden jedoch immer wieder Stimmen laut, die in die andere Richtung gehen. „Wir machen uns Gedanken, wie wir dem Verbrauchertrend Rechnung tragen können“, betont Langerbein deshalb. Man könne durchaus mit Kreativität und der Entwicklung neuer Produkte reagieren: Indem zum Beispiel einem Produkt natürliche Lebensmittel zugefügt werden, die den gewünschten Zusatzstoff liefern. „Ein Fruchtsaft kann auch durch bestimmte Früchte mit Calcium angereichert werden“, erklärt der Bioland-Spezialist. Den ersten Schritt in Richtung „neues Essen“ hat sein Unternehmen auch längst gemacht: Der Verband brachte im Sommer einen „probiotischen“ Joghurt auf den Markt.

Bei den meisten Experten geht der Trend zu der Empfehlung, die Naturkostbranche solle sich den neuen Nahrungsmitteln in Pillenform nicht prinzipiell versperren. Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die die positive Wirkung von bestimmten Stoffen belegen“, sagt Harald Dittmar vom „Bundesverband Deutscher Industrie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzungsmittel und Körperpflegemittel e. V.“ (BDIH). „Wieso sollte man dieses Wissen nicht nutzen?“ Nicht jeder habe die Möglichkeit, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, ergänzt Norbert Pahne. Der Geschäftsführer des Verbands der Reformwarenhersteller plädiert jedoch ansonsten „für Vollwert“.

„Unsere Nahrung ist zum Teil verarmt“, sagt Georgios Pandalis, der seit elf Jahren Bio-Lebensmittel herstellt. Auch das sei ein gewichtiges Argument für Nahrungsergänzungsmittel, nicht nur der aktuelle Trend. Allerdings macht er ähnliche Einschränkungen wie Langerbein: Es sei völlig falsch, sich jetzt auf chemisch synthetisierte Mittel zu stürzen. Sein Verkaufshit: Bärlauch-Frischblatt in Kapsel- oder Granulatform als natürliche Alternative zur ausreichenden Magnesium- oder Schwefelversorgung.