Selbstmord des Piloten wäre eine Schande

■ Die Familie des beschuldigten ägyptischen Kopiloten hält die Suizidverdächtigungen für infame Lüge. In Kairo blühen Verschwörungstheorien. Besonders beliebt: Israel ist schuld

Auf den Straßen Kairos glauben viele, der israelische Geheimdienst Mossad stecke hinter dem Absturz der Maschine

In Ägypten hat sich großer Unmut über die Untersuchungen in den USA breit gemacht. Auf Druck der Ägypter hat das amerikanische FBI nun doch noch nicht die Ermittlungen übernommen, sondern gewährt zunächst einer ägyptischen Spezialistendelegation Einblicke in das bisher zugängliche Datenmaterial.

Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die Frage: Hat der Ersatzpilot Gamil al-Batouty die EgyptAir Maschine 990 mit Absicht abstürzen lassen? Er soll zunächst ein Todesgebet gesprochen haben, bevor der Autopilot der Maschine abgestellt wurde.

Noch am Mittwoch hatten sich die ägyptischen Behörden einen Aufschub für die Übergabe des Falles an das FBI erbeten. Aus Kairo hatte sich eine hochrangige Delegation mit dem Chef der Zivilflugbehörde, technischen Experten und Geheimdienstoffizieren auf den Weg in die USA gemacht.

Die Worte eines Gebetes seien kein Beweis dafür, dass der Pilot das Flugzeug absichtlich abstürzen ließ, erklärte ein EgyptAir-Offizieller in Kairo. „Es ist geradezu natürlich, dass unsere Piloten, ob Muslime oder Christen, ein Gebet sprechen, wenn sich vor ihnen eine Katastrophe anbahnt“, sagte Abdel Azim Sidiqi, ein Sprecher der Fluglinie. Wen sonst außer Gott solle man in einer solchen Situation um Hilfe anflehen?

Die Zeitungen sind seit Tagen voll von Interviews mit den Pilotenfamilien, die jeglichen Zusammenhang des Absturzes mit einem Selbstmord ihrer Angehörigen vehement bestreiten. Die Frau des unter Verdacht geratenen Piloten Gamil al-Batouty nennt die Selbstmordtheorie eine Lüge und Verleumdung. Ihr Mann habe ein glückliches Familienleben geführt. Der 59-jährige Vater von fünf Kindern sei zweimal nach Mekka gepilgert – was immer das beweist – und stand ein Jahr vor seiner Pensionierung. Seine zehnjährige Tochter Aya leidet an einer schweren Immunschwächekrankheit. Alle sechs Monate wird sie in den USA behandelt. Al-Batouty hatte sie jüngst zu einer Untersuchung in Kalifornien angemeldet. Bei seinem letzten Anruf habe er gesagt, dass er sich dort Hoffnung auf Heilung seiner Tochter versprochen habe, sagte seine Frau. Berichte aus den Medien, die behauptenen, dass al-Batouty vor dem Flug seiner Familie seine Lebensersparnisse geschickt habe, bezeichnete sein Sohn als falsch. Er habe lediglich 300 Dollar geschickt, damit die Familie eine fällige Telefonrechnung bezahlen konnte. Inzwischen hat die von Journalisten belagerte Familie um Polizeischutz gebeten. Die ägyptische Zeitung Al-Akhbar bezeichnet die Selbstmordtheorie als eine Schande. Selbstmord sei im Islam verboten, und ein Muslim, der Selbstmord begehen wolle, würde nicht zuvor ein Gebet sprechen.

Unterdessen brodelt in Ägypten die Gerüchteküche – Zutaten: allerlei Verschwörungstheorien. Diese Theorien werden durch die Tatsache genährt, dass sich an Bord der Maschine 33 Offiziere der ägyptischen Armee befanden, darunter auch einige Geheimdienstoffiziere. Auf den Straßen Kairos und in den Kaffeehäusern ist man der Auffassung, der israelische Geheimdienst Mossad stecke hinter dem Absturz der Maschine. Besonders beliebt ist die Geschichte vom israelischen Computervirus, der den Bordcomputer hat verrückt spielen lassen.

Andere Theorien sprechen von einem Ausweichmanöver vor einer aus Versehen oder mit Absicht abgeschossenen US-Rakete oder einem US-Militärjet. Ein terroristischer Anschlag militanter Islamisten gilt allgemein als äußerst unwahrscheinlich. Seit dem Anschlag von Luxor vor zwei Jahren gab es keine einzige offensive Operation ägyptischer Islamisten. Erst im März hatte die größte militante Gruppe, Gama'a Islamija, einen Waffenstillstand beschlossen.

Vor einem Monat haben ehemalige Militante sogar eine Eingabe zur offiziellen Zulassung einer politischen Partei eingereicht. Im Gegenzug hatte die Regierung tausende von Mitgliedern und Sympathisanten militanter Gruppen aus dem Gefängnis freigelassen. Die Zeichen zwischen Regierung und radikalislamistischer Opposition stehen derzeit ganz auf Deeskalation.

Karim El-Gawhary, Kairo