Deutschland verklagen“

■  Die New Yorker Anwältin Deborah Sturman vertritt ehemalige Zwangsarbeiter. Sie bedauert die Zahlungsunwilligkeit der deutschen Wirtschaft und droht mit einer Klage gegen die Bundesrepublik

taz: Wie bewerten Sie die Verhandlungen in Bonn?

Deborah Sturman: Wir können uns zum ersten Mal in die Augen gucken. Mir war schon klar, dass wir bis heute Nachmittag zu keinem ordentlichen Ergebnis kommen. Die Industrie braucht Zeit, um Geld zu sammeln.

Welche Möglichkeiten gibt es, verstärkt Druck auf die Firmen auszuüben?

Unsere Klagen laufen weiter. Außerdem wird der von uns vorgeschlagene Gesetzesentwurf in den USA vom Kongress unterstützt. Danach könnten amerikanische Gerichte künftig Schadenersatzklagen ehemaliger Sklavenarbeiter erlauben, die jetzt in den USA wohnen. Wir können auch die Bundesrepublik als Nachfolgerin verklagen. Es gibt bei uns den „Foreign sovereign immunities act“. Man kann zwar keinen souveränen ausländischen Staat verklagen, aber wenn zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland ihre Botschaft in Washington umbaut, einen Architekten engagiert, aber dann nicht zahlt, dann kann sie sich nicht auf ihre Immunität berufen, denn sie ist in den Ablauf eines Geschäftes verwickelt. Und die Bundesregierung hat sich möglicherweise in ein solches Geschäft hineinbegeben.

Aber müsste man nicht mehr Druck auf die Firmen ausüben, die dem Fonds der Stiftungsinitiative noch gar nicht beigetreten sind?

Es ist nicht nur eine Frage, wer dem Fonds beigetreten ist. Meines Erachtens zahlen die großen Firmen viel zu wenig. In der jetzigen Phase der Verhandlungen müssten die Firmen entweder sagen, ihr habt euch verrechnet, es sind zu viele Leute dabei, oder es ist zu viel, was ihr pro Person verlangt, oder drittens, unsere Schmerzgrenze ist erreicht. Aber darüber wurde bis jetzt nicht gesprochen. Es wird nur gesagt, wir haben nicht mehr einsammeln können, und das heißt, wir wollen nicht mehr zahlen, und das ist etwas völlig anderes.

Werden die 820.000 Landarbeiter aus der Gruppe der Opfer herausgenommen, weil sonst die Entschädigungssumme zu hoch wäre?

Für die Landarbeiter können wir in Amerika wirklich schwierig klagen. Es sollte eine humanitäre Geste sein, aber ich muss leider sagen, dass ich meinen Glauben an die humanitäre Seele im Menschen verloren habe.

Ist Ihre Familie persönlich vom Holocaust betroffen?

Ja, sicher. Meine Eltern sind in Amerika geboren. Aber von den zwölf Geschwistern meines Großvaters sind acht ermordet worden und noch viel mehr Verwandte. Aber es geht nicht nur darum. Wir wollen zeigen, dass man sich nicht ungestraft auf Kosten anderer bereichern kann.

Wer legt die Honorare für die Opferanwälte fest?

Der Richter legt die Honorare fest. Für zivilrechtliche Fälle wie diese bekommt man normalerweise einen Stundensatz und dann noch einen Multiplikator für Risikofaktoren oder exzellente Arbeit. Wir haben die besten Anwälte Amerikas, aber wir werden einen Exzellenzzusatz nicht annehmen.

Der Jüdische Weltkongress hat die Opferanwälte ermahnt, nicht zu pokern, um die Verhandlungen nicht noch länger hinauszuzögern ...

Wir pokern nicht. Wir sind nicht diejenigen, die die Verhandlungen aufhalten. Wir haben zunächst acht Monate lang verhandelt, ohne dass die Deutschen bereit waren, über Geld zu reden. Wir haben nur über Rechtssicherheit gesprochen und die Gruppen der Berechtigten definiert. Die Deutschen haben 50 Jahre lang gewartet, wir nicht. Der Jüdische Weltkongress hat recht, wenn er sagt, es muss schnell gehen, aber es muss würdig sein. Wir haben zu lange gewartet, um ein unwürdiges Angebot annehmen zu müssen.

Interview: Astrid Prange