Der Kommissar als TV-Beichtvater

Erik Ode galt dem ZDF zunächst als Fehlbesetzung. Viel zu alt sei er, hieß es, um mit US-amerikanischen TV-Ermittlern konkurrieren zu können. Doch mit seinem Charisma brachte es Ode zur Haupt- und Kultfigur am Freitagabend. Und „Der Kommissar“ wurde zum Helden Nachkriegsdeutschlands, das seine Vergangenheit beharrlich beschwieg. Ein reichlich bebildertes Buch würdigt diese prominenteste Fernsehserie der Siebzigerjahre. Eine Rezension von Klaudia Brunst

Einen Vornamen hatte er wohl nur der Vollständigkeit halber. Herbert wurde Kommissar Keller eigentlich von niemandem genannt. Vielleicht rief ihn seine Frau gelegentlich so, aber die verließ ihn schon nach kurzer Zeit. Die Schauspielerin Rosemarie Fendel fühlte sich an seiner Seite dauerhaft unterfordert. Als das Drehbuch ihrem Filmmann dann den Satz „Du bist dumm, aber lieb“ auftrug, war die Serienehe nicht mehr zu kitten. Von da an blieb der „Chef“, wie ihn seine Assistenten respektvoll nannten, jener Einzelgänger, der er ohnehin immer gewesen war.

In 97 Folgen, von 1969 bis 1976, spielte Erik Ode den eigenbrötlerischen Kettenraucher Herbert Keller, der jeden Freitag um Viertel nach acht in München und Umgebung einen Mordfall aufzuklären hatte. Als der Fernsehproduzent Helmut Ringelmann dem ZDF Erik Ode als ersten deutschen Serienkommissar vorschlug, lehnten die Verantwortlichen im Sender den damals 58-Jährigen zunächst ab: Ode sei zu schmächtig und zu alt, um es im Wettstreit um die Gunst des Publikum mit den amerikanischen Cophelden aufnehmen zu können. Zudem kannte man Ode auf dem Mainzer Lerchenberg weniger als Schauspieler, denn vorwiegend als Synchronstimme von Fred Astaire.

Aber Ringelmann glaubte fest an das Charisma seines leisen Hauptdarstellers, und er sollte Recht behalten. Die Zuschauer goutierten die kammerspielartigen Stoffe von Herbert Reinecker und schlossen Kellers Ersatzfamilie – die Sekretärin Rehlein und ihre drei gut erzogenen Assistenten Grabert, Heines und Klein – in ihr Herz. Einschaltquoten von siebzig Prozent waren normal, aber selbst in den Zeiten vor dem Privatfernsehen nicht selbstverständlich.

Obwohl die Reihe in den sieben Jahren mit knapp hundert Folgen eigentlich nicht besonders häufig auf dem Schirm war, hat sie sich doch wie kaum eine andere in das kollektive Gedächtnis der bundesdeutschen Fernsehgesellschaft eingegraben. Mit seinem dialoglastigen Erzählstil setzte sich „Kommissar“-Drehbuchautor Herbert Reinecker deutlich von den wesentlich actionbetonteren US-Importen ab: Zwar standen beim „Kommissar“ wie in Jürgen Rolands ARD-Krimireihe „Stahlnetz“ (1958 bis 1968) kriminalistische Sekundärtugenden wie intuitive Kombinationsgabe und akribische Spurensuche im Vordergrund, aber nun wurden die Ermittlungen von einem immer gleichen Team geleistet.

Das schaffte andere Bindungen an die Zuschauer und damit viele neue Erzählmöglichkeiten. Je vertrauter den Zuschauern ihr „Kommissar“ wurde, desto mehr konnten Reineckers Storys auf Täterpsychologie setzen statt auf Verfolgungsjagden, konnte sich der Kommissar auf die Macht der Worte berufen statt auf bewaffnete Staatsgewalt. Das zunehmend therapeutische Moment der Ermittlungen gefiel sogar den Intellektuellen und machte die Serie derart gewaltfrei (und moralisch!), dass auch Kinder diesen Krimi mit ihren Eltern sehen konnten.

Wohl vor allem für die kleinen Fans von damals ist jetzt im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf ein reich bebildertes Buch zur Kultserie erschienen, das sorgsam Bekanntes und bisher Unbekanntes zusammenträgt und sämtliche Folgen der Reihe minutiös aufführt. Wer damals im Schlafanzug und mit geputzten Zähnen vor dem Zubettgehen noch eben den „Kommissar“ sehen durfte und heute Gerald Grotes Buch durchblättert, begibt sich auf eine kleine Zeitreise. Erstaunlich viele Gesichter sind noch erinnerlich, so manche Folge spult sich vor dem inneren Auge ab, als sei sie erst gestern gelaufen.

Trotz aller Fleißarbeit schleicht Grote aber seltsam distanziert um das Erfolgsphänomen „Kommissar“ herum. Als verbiete ihm seine eigene heimliche Heldenverehrung, einmal analytisch hinter die Kulissen zu blicken, vermeidet er jede Annäherung an das Epoche machende Wirkungsprinzip dieser Figur. Dabei hat der Berliner Autor Harald Martenstein, den der Autor an anderer Stelle durchaus zitiert, bereits in seinem Essayband „Das hat Folgen. Deutschland und seine Serien“ ein sehr plausibles Deutungsmuster für den „Volkstherapeuten Keller“ (Martenstein) vorgelegt: In dem Typ des verständnisvollen Kommissars, dem durch seinen Beruf nichts Verwerfliches mehr fremd ist, der aber nie ein vorschnelles Urteil fällen würde, hatten die Kriegsteilnehmer Reinecker und Ode eine Figur gefunden, mit der sie das deutsche Nachkriegstrauma bearbeiten konnten.

Vordergründig sucht der Kommissar in der Schar der unschuldig Verdächtigten nach dem einen Schuldigen und seinen Motiven für die schreckliche Tag. In Wahrheit geht es aber – so Martenstein – nie nur um die Aufklärung eines Mordes in München-Grünwald: „Keller will das Verbrechen enthüllen, nicht um zu strafen, sondern um zu verstehen. Dann, wenn die Gerechtigkeit ihr Werk getan hat, ist Verzeihen möglich.“ Im berühmt gewordenen Showdown des „Kommissars“, in dem Keller alle Verdächtigen noch einmal in einem Raum versammelt und in einem langen Monolog den Hergang der Tat rekapituliert, scheint nach Martenstein immer wieder das Nachkriegsdeutschland 1945 auf: „Alle waren dabei, aber nur einer war schuld.“

Selbst wenn man die Figur nicht so stark interpretatorisch belasten will wie Martenstein, bleibt die strenge dramaturgische Konstellation, wie sie Herbert Reinecker für seinen Kommissar erfunden hat, bemerkenswert. Auch wenn sich seine neue Serie von den US-Importen durch mehr deutschen Alltag absetzen sollte, wenn auch die Täter also schon mal von der mörderischen Verzweiflung über den verlorenen Arbeitsplatz berichteten oder von der Furcht, wegen eines ungeratenen Sohns in ihrer kleinbürgerlichen Gesellschaft geächtet zu werden, hatten Reineckers Geschichten doch mit dem wahren Leben nichts zu tun.

Bereits weit vor unserem postmodernen Kultfernsehen existierten Keller und seine Leute in einer erkennbar artifiziellen Fernsehwelt, deren Mittelpunkt das Kommissariat war (die liebevolle Skizze in Grotes Buch ist fast allein den Kauf wert). Ihr Leben pulsierte ganz selbstverständlich nur im Sechzigminutenrhythmus des Sendeplatzes, die Population ihres Paralleluniversums war auf eine Hand voll Menschen reduziert. Dennoch war „Der Kommissar“ ein furchterregend authentisches Produkt. Denn die Serie konzentrierte sich auf ihre Art sehr realitätstüchtig auf die Beantwortung jener einen, existenziellen Frage: „Wie wird der Mensch zum Mörder?“

Diese dramaturgische Verdichtung hatte theatralische Züge. Ein kriminalistisches Kammerspiel, wortgewaltig und pathetisch, mit etlichen aufs Stichwort geprobten Auf- und Abgängen durch die Seitentür der Bürokulisse – und garantierter Katharsis am Ende des fünften Aktes. Wie später sein Nachfolger Horst Tappert in der erst voriges Jahr beendeten Rolle des „Derrick“ behielt auch Erik Ode während seiner „Kommissars“-Ära stets Distanz zu seiner immer gewichtiger werdenden Rolle, die ihn so schnell und nachhaltig populär gemacht hatte. Er spielte sein darstellerisches Talent aus, indem er sich immer mehr zurücknahm.

Reineckers Dialoge, die in der späten „Derrick“-Phase an Redundanz kaum noch zu schlagen waren, inszenierten Ode als ruhigen, bedächtigen Antihelden, der seine Angespanntheit bestenfalls im Kettenrauchen filterloser Zigaretten preisgab. Oft genug wurde er von den hadernden Verbrechern eigens gerufen, damit sie sich endlich der Last der Schuld entledigen konnten. Kommissar Keller überführte seine Delinquenten nicht, er nahm ihnen die Beichte ab.

Während der regional aufgeteilte „Tatort“, in der ARD gern liebevoll „Länderspiegel mit Leichen“ genannt, bis heute unermüdlich neue Ermittlertypen, wechselnde Milieus, Delikte und Moralvorstellungen generiert, traten Reinecker, Ringelmann und ihr „Kommissar“ auf höchstem Niveau auf der Stelle: Man scherte sich alsbald nicht mehr um den Realismus einfordernden Zeitgeist und überließ die volksnahen Versuchungen anderen: Haverkamp die Erotik, Kressin die Draufgängerei, dem kleinen Finke die nachlässige columboeske Nuschelei und später Haudegen Schimanski das Fluchen. Da hatte Erik Ode als „Kommissar“ längst abgedankt. Er wollte sich auf den zuweilen fast dämonischen Keller nicht festlegen lassen. Und er war wohl auch allmählich zu alt.

Horst Tappert übernahm fortan die gesellschaftliche Aufgabe des Volkstherapeuten. In den darauf folgenden Jahren erstarrte Reineckers unermüdliche Bearbeitung von Schuld & Sühne aber mehr und mehr zur selbstverliebten Pose, zum Schluss ließ der Autor seinen immer abgeklärter dreinblickenden Helden Derrick am liebsten abwechselnd schweigen und monologisieren. Das wurde gegen Ende zwar noch im juvenilen Underground als Kult gefeiert, hatte sich aber eigentlich längst überlebt.

Literatur: Gerald Grote: „Der Kommissar. Der TV-Klassiker. Die Serie und ihre Folgen“. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1999, 222 Seiten, 39,80 Mark;

Harald Martenstein: „Das hat Folgen. Deutschland und seine Serien“. Reclam, Leipzig 1996, 100 Seiten, 11,99 Mark; „Der Kommissar“ wird sonntags spätabends in 3sat wiederholt.

Klaudia Brunst, 35, Fernsehkritikerin und langjährige taz-Autorin, fühlte sich sehr erwachsen, als sie im April 1970 zum ersten Mal den „Kommissar“ sehen durfte. Es war ein Geburtstagsgeschenk.