Rasante Performance-Aktionen

■ Die Pianistin Lee Pui Ming bot im Worpsweder „Callas“ ein beeindruckendes Konzert

Als die chinesische, in Toronto lebende Pianistin und Performerin Lee Pui Ming vor drei Jahren zum ersten Mal in Europa war, wurde ihr Auftritt beim Berliner Festival „Wie es ihr gefällt“ zu einem fulminanten Erfolg. Kurz danach trat sie bei „Callas“ in Worpswede auf, deren Organisatorin Katrin Mosler sich durch den Mut zum noch Unbekannten, gleichwohl Exzeptionellen auszeichnet. Auf dieser Basis enstehen stabile, tragfähige menschliche und künstlerische Beziehungen, deren stets überzeugende Frucht nun ein zweites Mal im Bauernhaus in Worpswede zu hören und zu sehen war: Lee Pui Ming in ungebrochen rasanter Aktion.

Man kann kaum sagen, dass ihre Biographie ihren Allroundstil zwischen improvisierter Musik, klassischem Jazz und immer stärker werdenden Anteilen an traditioneller chinesischer Musik geprägt hat. Eher ist es umgekehrt. Schon als Kind – ihre Mutter lehrte als Sängerin chinesische Popularmusik – war sie eine überragende Pianistin, vertraut mit dem ganzen Repertoire der westlichen Klaviermusik und einem in Amerika absolvierten Bachelor of Arts in der Tasche. Doch genügte ihr das Interpretieren von fremder Musik bald nicht mehr. Folgerichtig wandte sie sich dem Jazz zu. Und folgerichtig suchte sie nach den ethnischen Wurzeln „ihrer“ Musik: Monate und Jahre verbringt sie bis heute mit der Erkundung dieser musikalischen Traditionen, auch der benachbarten Länder wie der Mongolei.

Im nahezu ausverkauften Konzert präsentierte Lee Pui Ming nun ihre genuine Kunst, die ihre Verbindlichkeit nicht unbedingt aus der Einheitlichkeit eines Stiles gewinnt – denn der ist nach wie vor heterogen – sondern aus der Einheitlichkeit ihrer Persönlichkeit. In einem Interview hatte sie das einmal sehr gut ausgedrückt: „Ich möchte einen kulturellen Ausdruck schaffen, der lebt und vital ist und zu allen spricht“. Und so verbindet sie ihre Stücke zu einem großen Ganzen: Improvisiertes klingt da mit höchstem technischem Anspruch, kleine Sketche, in denen sie beispielsweise mit ihrer Stimme das Auftauchen von Insekten parodiert, verschränken sich mit Stücken, die das Publikum aktiv als klatschende oder trampelnde Rhythmusträger miteinbeziehen. Und immer wieder Stücke, die das Klavier auch außerhalb der Tastatur zum explosiven Tonträger machen. Dann liegenauf den Saiten Blechkisten, Bestecke, Schüsseln mit Glaskugeln und vieles mehr. Oder das Holz des Flügels wird zum Resonanzkörper zahlreicher Schläge, die die Pianistin um das Instrument herumtreiben. Auch regelrechte Kabarettszenen gehören zu ihrem Repertoire wie eine tränentreibende Nonsensszene.

Alle Stücke zeichnen sich aus durch ein ausgeprägtes dramaturgisches Gespür: keines ist zu lang, keines zu kurz. Und ich habe selten eine solche Einheit mit dem Instrument erlebt wie bei Ming: In der ganzen Performance ist sie mit ihrem Instrument absolut eins. Das klingt seltsam, sollte es doch im Grunde immer so sein. Es darf aber hier ausdrücklich gesagt werden, weil Ming die Überwindung trainierten und gelernten Klavierspiels perfekt gelungen ist. Trotzdem behält sie uns nie den hohen Stand ihrer brillanten Technik vor, wenn sie in atemberaubendem Tempo treffsicher Oktaven donnert oder auch mit der Handfläche auf den weißen Tasten schlagende Cluster trommelt und gleichzeitg mit den Fingern derselben Hand glasklar Strukturen auf den schwarzen Tasten zu spielen versteht.

Trotzdem möchte ich noch eine Gefahr nennen: die großen, rein pianistischen Improvisationen neigen zum Eklektizismus spätromantischer Gesten und Harmonien.

Ute Schalz-Laurenze