Unterm Strich

In Heilbronn geschehen zur Zeit gewisse Wunder: Radikale Christen und Muslime protestieren hier in schöner Regelmäßigkeit gemeinsam gegen ein angeblich gotteslästerliches, ja satanisches Theaterstück: Wenn sich im Theater am Berliner Platz der Vorhang zum umstrittenen Bühnenstück „Corpus Christi“ des amerikanischen Dramatikers Terence McNally hebt, wird konfessionsübergreifend protestiert. Doch die gemeinschaftliche Empörung, die die bibeltreuen Christen, ebenso wie die radikalen Muslims bei der Mahnwache selbst als „Aktion von historischem Wert“ bezeichnen, scheint beim Heilbronner Publikum auf taube Ohren zu stoßen. Das angeblich gotteslästerliche Theaterstück, das Jesus Christus in einer modernen schwulen Gemeinschaft zeigt, hat hervorragende Kritiken sogar von Priestern erhalten. Der Vorverkauf für die noch ausstehenden Vorstellungen läuft nach Angaben des Heilbronner Dramaturgen James McDowell „hervorragend“.

Möge Allah diesen Ketzern in beiden Welten Unglück bescheren“, hieß es zuletzt in einem bundesweiten Internet-Aufruf einer namentlich nicht bekannten Muslimgruppe zum gemeinsamen Protest. Unter Polizeischutz versammelten sich am vergangenen Freitag rund 80 Muslime und fromme Christen, auch für die Vorstellung am Sonntagabend wurden Demonstranten erwartet. Zahlreiche Frauen, aber auch kleine Kinder, zusammengetrommelt von der Partei Bibeltreuer Christen, singen bei Fackel- und Kerzenschein Kirchenlieder und drücken ihre Abscheu über das Stück aus. „Nicht mit unseren Steuergeldern“ steht auf den Plakaten und „Gott lässt sich nicht spotten“. Über das Megafon erschallen Koranlesungen. Wer seine Meinung nicht öffentlich zeigen will, formuliert sie als wütenden Leserbrief in der Lokalzeitung.

Heilbronns Intendant Klaus Wagner will sich von dem Donnerwetter im Namen des Herrn, aber auch von Drohbriefen gegen sein angeblich satanisches Ensemble nicht unter Druck setzen lassen. Die deutsche Justiz gibt ihm Recht: Bislang wurden alle Strafanzeigen wegen Gotteslästerung und Beleidigung ebenso abgelehnt wie Anträge auf Verbotsverfügungen. Auch eine „Ökumenische Erklärung“ der Kirchenoberen Heilbronns, sich das Stück „nicht anzutun“, fand offensichtlich wenig Gehör.

In seinem umstrittenenWerk befördert Autor McNally die zentrale These, Jesus habe alle Menschen geliebt, gleich welchen Geschlechts. Der Verrat an Christus, folgert er, basiert auf einer gescheiterten homosexuellen Beziehung. Der US-Autor, der in Deutschland mit seinem Libretto für den „Kuss der Spinnenfrau“ bekannt wurde, gewährt Einblick in das Leben und Leiden der Homosexuellen-Szene und verarbeitet Jugenderfahrungen in der texanischen Stadt Corpus Christi.