: Denn sie wissen, was sie tun
Glauben an den Rock und das Verschwinden hilft: Für „Tristesse Royale“ haben sich fünf deutsche Popliteraten im Berliner Hotel Adlon getroffen. Sie diskutieren Stilfragen, verzweifeln an Mode und Meinungen – und bleiben bekennende Medienarbeiter ■ Von Gerrit Bartels
Der Kulturchef einer großen Zeitung ist nicht begeistert von dem, was der junge, 28 Jahre alte Autor Joachim Bessing ihm da anbietet. Deutschland sei verschuldet, die Familien auch, „und da kommen Sie und wollen über Angst vor American Express reden und vor Prada, das geht doch völlig am Thema vorbei“. Außerdem habe er selber einen Sohn in dem Alter, und der gehe jobben, um zu studieren, dem sei es peinlich, teure Klamotten anzuziehen, „und deshalb verstehe ich ja auch nicht, weshalb Sie immer von Generation reden“. Wenn die Runde anders besetzt wäre, dann könne man noch einmal drüber reden – „wenn da jetzt ein Tütenpacker aus einem HL-Markt im Osten dabei sitzt oder ein Flüchtling“.
Doch die Runde steht nicht auf Tütenpacker oder Wagenschieber, die will unter sich bleiben. Neben Joachim Bessing besteht sie aus den Herren Benjamin v. Stuckrad-Barre, Eckhart Nickel, Christian Kracht und Alexander v. Schönburg – allesamt ziemliche Snobs und Schnösel, Journalisten und Schriftsteller, so genannte Popliteraten, allesamt Mitte Zwanzig, Anfang Dreißig. Die fünf haben sich ein ganzes Aprilwochenende lang im Berliner Hotel Adlon eingemietet. Dort sitzen sie tagsüber im Kaminzimmer, der so genannten Executive Lounge des Adlon, mit freiem Blick aufs Brandenburger Tor, mit freiem Blick auf Deutschland und die neue Mitte, und plaudern über sich und die Welt, über das, was „die Welt im Innersten zusammenhält“. Ihre Welt. Alles zu dem Zweck, um am Ende dieses Wochenendes „ein Sittenbild unserer Generation modelliert zu haben“.
Eine feine Idee, befand schließlich der immer um die Jugend und die diversen Generationen bemühte Ullstein-Verlag und veröffentlichte die Gespräche der fünf unter dem Titel „Tristesse Royale – das popkulturelle Quintett“ als preiswertes Paperback. Und dort steht neben den Dampfplaudereien am Kamin auch Bessings Treffen mit dem „Kulturchef“. Es ist eine Art Zwischenspiel, ein von Bessing aufgezeichneter Monolog. Dieser aber, imaginiert oder nicht, passt wie angegossen ins Gesamtkonzept von „Tristesse Royale“. Denn die fünf haben Missverständnisse solcherart einkalkuliert, sie haben nicht wirklich im Sinn, Vertreter irgendeiner Generation zu sein – dafür weist beispielsweise Benjamin v. Stuckrad-Barre gern und oft Zuschreibungen wie „Sprachrohr für die Jugend von heute“ weit von sich. Und dafür ist ihnen, popkulturell sozialisiert, wie sie sind, allen viel zu sehr bewusst, wie viele Generationen sich zuletzt die Klinke in die Hand der Medien gedrückt haben (X, Y, 89, 78, 99, Golf, Berlin, null Bock); wie zahlreich und unterschiedlich Herkunft und Lebensentwürfe ihrer Altersgenossen sind; wie viel unzählige Szenen und Subszenen es gibt und wie wenig die Anhänger der Hamburger Rockband Tocotronic mit denen der Stuttgarter HipHop-Gruppe Freundeskreis oder des Berliner DJ Tanith zu tun haben.
Die Welt ist alles, was der Medienbetrieb ist
Vertreten tun die fünf vor allem sich selbst. Mit den Jahren haben sie gelernt: Die Welt ist alles, was der Medienbetrieb ist. Wichtig ist die Inszenierung, wichtiger als das, was in ihren Büchern drin steht, ist deren Vermarktung – so steht man Modell für „Peek & Cloppenburg“ (Kracht und Stuckrad-Barre), macht ausgedehnte Lesereisen, über die sofort wieder Bücher geschrieben und veröffentlicht werden („Livealbum“), bringt Anthologien heraus („Mesopotamia“), an denen das Beste und Nachdrücklichste vorn und hinten auf dem Buchrücken steht: „Ernste Geschichten am Ende des Jahrtausends“ und „Irony is over. Bye. Bye“ (Jarvis Cocker).
Sie sind Dichterdarsteller, sie wissen genau, was sie tun. Wissen, was sich gehört und wo man am besten an die Effekte fasst: Ein Wort wie „Generation“ in den eigenen Zusammenhang schmeißen, ein Sittenbild „modellieren“, ein bisschen herumkonstruieren. Einfach mal so tun, als wolle man „ein paar Rätsel lösen“, „ein paar Fundamente schaffen“ – das rockt doch! Wenn man dann gescheitert ist, kann man ja immer noch gucken, was da im Medienbetrieb so geht, was da an Sinn übrig bleibt und – auch nicht unwichtig – wer darauf alles so reinfällt.
Und so sitzt unsere Dichterburschenschaft dann auf den sandfarbenen Wildledersofas der Adlon-Lounge und redet über das „im Dreieck gefaltete Ende der Toilettenpapierrolle“ in Luxushotels. Über CK-One, CK-Be, Massive Attack, Kruder & Dorfmeister, Pulp Fiction und die Crux von Massenkultur. Denn schnell stellen die Herren fest, dass mittlerweile jedes Bahnhofshotel dasselbe Toilettenpapier hat wie das Adlon, dass jeder stiernackige Golf-GTI-Fahrer seine Massive-Attack- und Kruder-&-Dorfmeister-CDs im Auto hat: Was für ein Leid, was für ein Ärger!
Was nutzt es, „denkende Menschen und Stilgötter“ zu sein, wenn morgen an jeder Ecke schon wieder ganz viele andere und sehr gemeine Menschen stehen, mit dem Prada-Täschchen wedeln und stolz ihre Hemden von Ermenegildo Zeyna spazieren führen? Wenn man selbst im Adlon den „schlechtangezogensten Menschen und fürchterlichsten Proleten aller Zeiten“ über den Weg läuft? Da gibt man sich so viel Mühe und schafft es trotzdem nicht mehr, auch nur die klitzekleinsten Distinktionsgewinne einzufahren!
Doch lamentieren hilft erst mal nicht. Man debattiert tapfer weiter, erzählt sich lustige Geschichten und Anekdoten, rettet sich in Ironie und Selbstironie. Denn vorbei oder nicht, das hilft noch immer gegen die schärfsten Analysen und grausamsten Einsichten, die ja selbst die härtesten Rocker schon mal aus den Ohrensesseln kippen können: Zum Beispiel, dass „die Langeweile der Hauptfeind unserer Generation“ ist. Oder dass es eigentlich gar nicht mehr möglich ist, eine eigene Meinung zu haben – schließlich ist es in den meisten Fällen doch am wichtigsten, sich mit der „Meinungsbildung über die Meinung der Anderen“ zu beschäftigen. Eine ganz harte Sache ist auch die Suggestionswelt der Werbekampagnen, da begibt man sich sogar in Sorge um das Allgemeinwohl: „Und dann die schlimme Enttäuschung der Menschen dort unten in den Straßen, wenn sie erkennen, dass die Dose Beck's Bier in ihrer Hand ihr Leben nicht im geringsten ändert, sportlicher oder glamouröser macht.“ Und immer wieder geht die Klage über die „monströse Kollektivierung des Individualismus“.
Was bleibt Stilgöttern wie unseren fünf Herren dann noch über, wenn sie nicht zu depressiven Trauerklößen mutieren wollen? Zum Abschluss der dreitägigen Therapiesitzungen einigen sie sich auf zwei Formen des Entkommens aus diesem bürgerlichen Trauerspiel: auf das Verschwinden und den Rock. Letzterer steht für Ewigkeit, für Authentizität. In den Rock scheint sich trotz aller Bemühungen (Re-Modeln, Ironie, Pop) partout kein doppelter Boden einziehen zu lassen. Und an dem Verschwinden haben sie sowieso die ganze Zeit sehr gut gearbeitet. Da mögen sie kurz mal über Persönliches wie berufliche Werdegänge oder Familienstände gesprochen haben, die Stunden der wahren Empfindungen haben sie nicht miteinander teilen wollen.
Ausgeprägtes Ego sucht nach Credits
Ihre ausgeprägten Egos zeigen sich nur in den Kunstfiguren, als die sie sich in „Tristesse Royale“ ausgeben. Der Rest davon, falls es überhaupt einen gibt, bleibt außen vor. Natural born Medienarbeiter.
Und als solche haben sie natürlich auch „Tristesse Royale“ bis zum Ende hin genauestens durchkomponiert: Da nehmen dann Christian Kracht und Joachim Bessing im dritten, letzten und kürzesten Kapitel des Buches ein Flugzeug nach Phnom Penh, besuchen ein Internierungslager, in dem die Rhoten Kmer ihre intellektuellen Gegner folterten, und landen schließlich in einem Café, das als Kulisse für eine indische Filmproduktion dient: Ein Entkommen gibt es nie wirklich, das Verschwinden in irgendwelchen Kulissen aber schon. „And you, back there, roll the credits please!“, ruft der indische Regisseur, damit sich Joachim Bessing bei seinen Liebsten bedanken kann. Das, was vom Buche übrig bleibt – man kennt das beispielsweise schon aus Kracht und Nickels „Ferien für immer“ –, ist das Register, das sich über zehn Seiten erstreckt, von A wie A & R bis zu Z wie Zum, zum, die eigentliche Quintessenz des Buches.
Gut inszeniert Jungs, denkt man dann beim Zuschlagen, gut gebrüllt, ihr Löwen und Lämmer! Fragt sich bloß, was sie als nächstes anstellen: Einen Film drehen, weitere Manifeste schreiben? Oder sich doch mal an richtigen Erzählungen oder Romanen versuchen? Vielleicht aber fallen sie doch auf sich selbst herein und nehmen sich tatsächlich ernst: Glauben an den Rock und das Verschwinden. Und dann müsste man sich vielleicht wirklich Sorgen machen, von wegen Rock-'n'-Roll-Tod und so. Das wäre tragisch, da würde sogar der oben erwähnte Kulturchef eine gute Story um irgendeine verlorene Generation draus machen. „Tristesse Royale – das popkulturelle Quintett“. Von Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre, Ullstein Metropolis, 204 Seiten, 22 DM. Lesung am 29. 11. in Berlin.
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