Vier ukrainische Wissenschaftler als Spione angeklagt

■ Geheimnisverrat wird vier Meeresbiologen vorgeworfen. Zum Verhängnis wurde den Wissenschaftlern die Zusammenarbeit mit ausländischen Forschungsinstituten

Das Unterseeboot wurde zerstört, nachdem das Leuchtplankton seine Position verraten hatte

Mitte Oktober verhaftete die ukrainische Spionageabwehr den bekannten Meeresforscher Sergei Piontkowski aus dem Institut für die Biologie der südlichen Ozeane (IBSS) in Sewastopol am Schwarzen Meer. Die Anklage an ihn und drei weitere Kollegen – zu den Betroffenen gehört auch der IBSS-Direktor Juri Tokarew: Weiterleitung geheimer Informationen ins Ausland und illegaler Handel mit fremder „harter“ Währung.

Computer wurden beschlagnahmt, Daten gesichert und Beweismaterial beschlagnahmt. Weltweit löste die Verhaftung Empörung bei den Kollegen aus und führte zu kritischen Kommentaren in den internationalen Fachzeitschriften. Unter anderen berichteten auch die Wissenschaftsmagazine Nature und Science über die Spionagevorwürfe in der Ukraine. Über das Internet wurden Kollegen informiert und gebeten, sich für die verfolgten Wissenschaftler einzusetzen.

Erst nach und nach kommen jetzt Vermutungen über die wahren Gründe der Spionageabwehr ans Tageslicht. Piontkowski gilt als internationaler Spezialist für Meeresplankton, den winzigen Schwebetieren im Freiwasser der Ozeane. Er war kürzlich zu einem Forschungsaufenthalt in den USA, bekommt Förderung von verschiedenen Organisationen, unter anderem der EU, dem amerikanischen U.S. Office of Naval Research und der britischen Regierung. Er arbeitet mit mehreren berühmten Instituten zusammen und ist in der britischen Darwin-Initiative eingebunden, die weltweit Studien über die Biodiversität unterstützt. Diese weitreichende Zusammenarbeit wird ihm nun zum Verhängnis.

Denn sein Spezialgebiet ist die Biolumineszenz von Meeresplankton, jenes auch als Meeresleuchten bekannte Phänomen, bei dem Algen und Planktontiere auf biochemischem Wege Licht erzeugen. Stimmen die hydrographischen und chemischen Bedingungen im Meerewasser, vermehren sich die Organismen explosionsartig und bevölkern weite Gebiete im Ozean. Ausgelöst wird die Biolumineszenz durch mechanische Einwirkungen, zum Beispiel Wellenbewegung oder selbst vorbeiziehende Fischschwärme. Das Plankton reagiert extrem empfindlich auf mechanische Störungen im Wasser. „Selbst eine schwimmende Makrele produziert noch einen Effekt“, erläutert der Präsident der „Internationalen Gesellschaft für Biolumineszenz und Chemilumineszenz“, Peter Herring vom Ozeanographischen Forschungszentrum im britischen Southampton. Und das ist der Haken: Auch vorbeiziehende Unterseeboote erzeugen natürlich den Leuchteffekt bei den Meeresalgen.

Das verräterische Leuchtplankton spielte schon im November 1918 bei der Versenkung der deutschen Unterseebootes U-34 im Mittelmeer eine Rolle. U-34 wurde zerstört, nachdem das Plankton seine Position verraten hatte.

Nun wird vermutet, dass dank der heutigen weltumspannenden Satellitentechnik die U.S. Navy feindliche U-Boote im Ozean anhand ihrer Leuchtspuren auffinden kann. Dazu braucht es jedoch genauer biologischer und ozeanographischer Erkenntnisse zur Verbreitung der Organismen.

Wie ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Militärs berichtete, sollen Forscher der US-Armee auch bereits eine Möglichkeit entwickelt haben, die Position von U-Booten mit Hilfe der Leuchtalgen auszumachen. Auch die britische Armee soll nach einem Bericht des New Scientist entsprechende Forschungsarbeiten verfolgen. Ob die Biolumineszenz sich in der Praxis tatsächlich bewährt, ist jedoch zweifelhaft, da U-Boote meist in tieferen Gewässern schwimmen.

Schon vor der Durchsuchungsaktion in Sewastopol reagierten die Behörden in der Ukraine empfindlich auf die Forschungen am IBSS. Als Tokarew, auf dem Weg zu einem internationalen Symposium, bei der Ausreise kontrolliert wurde, beschlagnahmten die Grenzbeamten ein Poster, auf dem Leuchtbakterien beschrieben waren.

Noch in diesem Monat soll die Verhandlung gegen den Meeresbiologen Piontkowski stattfinden. Konkret wird ihm vorgeworfen, als geheim klassifizierte Forschungsdaten ins Ausland transferiert zu haben. Dass die Daten unter das Staatsgeheimnis fallen, war im IBSS nicht bekannt. Seit Jahren schon hätten die Wissenschaftler, so wie es allgemein üblich ist, ihre Forschungsergebnisse in der Fachpresse publiziert. Aber das scheint die Spionageabwehr nicht zu interessieren. Sollte es zum Prozess kommen, drohen dem Wissenschaftler im schlimmsten Fall 20 Jahre Haft.

Onno Gross/Wolfgang Löhr

Weitere Informationen sind im Internet abrufbar unter: http://www.geocities.com/sep_case