Mensch und Manie

■ Nach blasphemischem Death Metal frühstücken Tiamat das Diesseits

Aller Anfang war die Fratze. Fletschend und entschlossen starrte zu Beginn dieses Jahrzehnts ein junger Mann in Make-Up und Kampfleder in die Promo-Linse. Ja, es gab eine Zeit, in der Johann Edlund das evil Black-Metal-Posing bis in die kleinste Killerniete verinnerlicht hatte. Dazu stimmte der junge Schwede in knurrende Gesänge und unheilige Choräle ein, die Fiktionen aus der sumerischen Dämonologie ans schwarze Firmament schrieben. Daher auch der böse Bandname Tiamat, welcher einen weiblichen Drachen mit eindrucksvollem zerstörerischem Potential benennt.

Und wer noch tiefer in die Musikhistorie des hageren Skandinaviers abtaucht, stößt auf die Geschmacklosigkeit namens Treblinka, welches sich seiner namentlichen Untragbarkeit zum Trotz zu keiner Zeit am Grauen in Vernichtungslagern ergötzte, sondern dem, was Edlund kurz darauf mit Tiamat umschrieb, für kurze Zeit einen fatalen Namen gab.

Was Tiamat auf ihren ersten beiden Alben Sumerian Cry und Astral Sleep in Songs packten, stellte sie auf eine Stufe mit den ab-erhundert anderen zornigen Death- Metal-Bands aus Schweden, die unter dem Applaus der gesamten Popszene das träge Mutterschiff Heavy Metal via Blasphemie und Blastbeat lautstark vor sich her trieb. Doch während Bands wie Dismembered oder Unleashed auch in den anschließenden Jahren der Ernüchterung ihre Erfüllung im Rumpeln & Poltern sahen, entdeckten Tiamat ihren Sinn fürs Schwärmerische und Fatalistische und verdrückten auf Clouds, Wildhoney und insbesondere A Deeper Kind of Slumber die eine oder andere Todesträne im Elegie-Gewand.

Was selbst von Wohlmeinenden bloß im Genre-Sarg „psychedelischer Gothic Metal“ gebettet wurde, skizzierte der mittlerweile haarlose Edlund bedeutungsvoll als den Soundtrack zu seiner erneuten Hinwendung zum Leben. Denn Edlund hatte sich während dieser Phase zunehmend als ungreifbares Kunstprodukt präsentiert, bei dem Mensch und Manie einen unheilvollen Pakt einzugehen schienen, an dessen Ende nichts Gutes bei herumkam. Jedenfalls nicht für Johan! Bleib mir weg mit Drogen und Todesphantasien! Diesseits, ich lad' dich zum Frühstück ein! Aus Edlund, dem Entrückten, wurde der Johan, der Rock-Zocker, der sich nun auf Skeleton Skeletron von dunklem Rock therapiert zeigt und sein schwarzes Augen- und Lippen-Make-Up mehr als verkaufsträchtigen Blickfang im 80er- Style denn als innere Nabelschau verstanden wissen will. Mag Johan leben, Tiamat ist die andere Art von Tod.

Oliver Rohlf

mit Anathema, Tristania: So, 28. November, 20 Uhr, Docks