Von Fakes und Mutanten

■ Arno Geigers tagträumerischer Roman „Irrlichterloh“

Mädchen lieben Künstler, und Mädchen lieben den Erfolg.“ Daran glaubte vor zehn Jahren schon Philipp Worovsky aus Arno Geigers Romandebüt „Kleine Schule des Karussellfahrens“, und er pinselte mit Hingabe in ein Fenster seiner Wohnung: „Suche Hauptdarstellerin für meinen Film“. Doch die Masche war zu dünn gestrickt, kein flotter Käfer blieb hängen, und Worovsky musste sich notgedrungen „in höhere Dummheiten“ flüchten.

Aus ähnlichem Holz geschnitzt ist Jonas Kreuzer aus Geigers neuem Roman „Irrlichterloh“, ein Tagträumer, Frauenverehrer und Pantomime des Augenblicks. Er sprüht Graffiti auf Verkehrsschilder, drosselt so das zulässige Tempo und erfindet für die Strichmännchen freundliche Gefährtinnen und bedeutungsvolle Sätze. Jonas ist einer, der glaubt, „dass ein guter Stolperer nie fällt“. Er pflegt seinen kleinen Anarchismus, will sich unterwegs verlieren, fälscht dafür Ordnungshüter und Richtungsgeber. Sein Studium hat er nur solange betrieben, wie das Stipendium reichte. Seither arbeitet er tagsüber für eine Schilderfirma und geht nachts mit einem Geigenkoffer voller Spraydosen auf Tour.

Die Flucht ist seine große Leidenschaft, doch als er eines Morgens feststellen muss, dass ihn seine Freundin Ann-Kathrin Hals über Kopf verlassen hat, brennt es in ihm: „Irrlichterloh“. Sie ist weg, enttäuscht über seine Herumtreiberei, seine ichbezogene Zurückhaltung – durchgebrannt mit seinem Chef, einem athletischen Erfolgstypen. Noch dazu hat sie ein Gemälde mitgenommen, in dessen Besitz Jonas zufällig geraten war und das von einigem Wert zu sein scheint. Bei Jonas knallen alle Sicherungen durch, er klaut das Motorrad einer Hochzeitsgesellschaft und nimmt die Verfolgung auf. Die Fahrt geht ans Meer, ein leidgeprüfter Tankwart, die anhängliche Postangestellte Noemi im Tigerhosenimitat und die mysteriöse Galeristin Ira Constantin mit ihrer seltsamen Vorliebe für arktische Temperaturen kreuzen seinen Weg.

Er findet Ann-Kathrin in den Dünen und hat sie doch im gleichen Moment wieder verloren. Einige Kapriolen schlägt er noch, doch das Spiel geht zu Ende. Der Dampf ist raus. Es mondet, Schwermut im Hirn und Klebstoff an den Beinen, Jonas spürt Trauer und Abschied. Er weiß nicht, ob er in diesem Leben zurechtkommen wird; er, der Augenmensch und Schauspieler, kann sich kein Bild mehr von der Welt machen und verlässt die Bühne. Als das Gemälde wieder auftaucht, besprüht er es wie ein Verkehrsschild. Am Ende fährt Jonas mit Noemi in ihr Dorf, von dem es nicht einmal Postkarten gibt und das alle Freiheit verspricht.

Arno Geiger, 1968 geborener Vorarlberger und mittlerweile Wahlwiener, erzählt im Grunde die kleine Geschichte einer verlorenen Liebe in unserer Zeit. Kein Style, keine Hipness, keine Modemarken und Szenepartys, und doch inmitten von Fakes, Mutanten und Simulationen die Suche nach ein wenig Zusammenhang und Echtheit. „So weit sind wir, denkt er, dass sich das Sinn- und Zwecklose zur letzten Freiheit aufgeschwungen hat. Ein Gefühl hoffnungsloser Leichtigkeit überkommt ihn bei diesem Gedanken“ – die skeptische, ja melancholische Grundhaltung des Romans wird durch ironisch-lakonische Gefühlstupfer charmant aufgerissen, die vielen Umwege von Held und Text nimmt man erfreut in Kauf, „nice day to start again“.

Sicher, Geiger neigt zu sprachlichem Plüsch und Talmi, hängt hier eine Sprachgirlande hin und dort ein Wortspiel. Aber abgesehen von wenigen grellen Applikationen knüpft er ein atmosphärisch dichtes und schönes Sprachgewand, in dem man sich gerne verfängt. Mit seinem zweiten Roman über die Kunst des Schwindelns und über ein Leben, das einen zuweilen schwindlig macht, wird der fantasie- und fintenreiche Arno Geiger all diejenigen gewinnen, die über das Spiel mit Lieben und Lügen mehr wissen wollen.

Thomas Kraft

Arno Geiger: „Irrlichterloh“. Hanser Verlag, München 1999, 198 Seiten, 27 DM