Die Welt durch den Arsch von Papis Hose

■ Nur einmal kurz gekotzt: Hilary Fannins irisches „Wolkenmeer“ am Schauspiel Bonn

Kein Blut. Kein Sex. Keine Messer in Hennen. Hilary Fannin hat zwar mit Mark Ravenhill und anderen Stars der Londoner Szene an „Sleeping Around“ geschrieben und läuft unter „junge angelsächsische Dramatik“. Ihr Solo-Debüt aber ist eine echte Familiengeschichte, in der geredet wird, getrunken und gelegentlich gekotzt – nicht aber gepoppt. Insofern möchte man sie lieber in eine andere Schublade stecken: die der fabulierfreudigen irischen Geschichtenerzähler, mit Gin in der Hand und Flann O'Brien im Kopf.

Hilary Fannin, Jahrgang 1962, kommt aus Dublin und ist eigentlich Schauspielerin. Als sie 1997 längere Zeit arbeitslos war, hat sie ihr erstes Stück geschrieben. „Mackerel Sky“ (Makrelenhimmel), auf Deutsch übersetzt als „Wolkenmeer“, spielt in den frühen 70ern in Dublin. Mamie Brazil, eine abgetakelte Schlagersängerin, hofft auf ein Comeback und darauf, den Gerichtsvollzieher zu verpassen. Ihr Mann, ein Marineoffizier, ist vor Jahren abgehauen; die jüngste Tochter Stephanie schleppt immer noch eine Pappfigur als Papi-Ersatz durch die Wohnung. Steph ist tief religiös und entsetzt über den Lebenswandel ihrer Schwester Madeleine, die – natürlich – von ihrem Lover schwanger wird und den potenziellen Schwiegereltern quer übers Sofa kotzt. Kommentiert wird das Ganze vom unablässigen Schimpfen der Oma Tom. Der einzige in der Familie, der so etwas wie Arbeit zu haben scheint, ist Jack, der Sohn: Und der hat eigentlich keine Lust mehr, als Schiffsjunge toten Fischen in den Eingeweiden herumzuwühlen.

Fannins Stück ist eher bitter als romantisch, und trotz des Plaudertons, der die pointenreichen Dialoge beherrscht, blitzt an einigen Stellen Tragik auf, manchmal sogar Poesie. Doch die hat es zunächst schwer bei der deutschen Erstaufführung im Theater im Lampenlager, einer Nebenbühne des Schauspiels Bonn. Das Bühnenbild (Claudia Rüll) ist, wie der Text verlangt, ein konventioneller Guckkasten mit ärmlichem Reihenhaus-Interieur; aber nicht die trashige Variante, sondern langweilig plastik-grau. Dazu hat man ein Licht angeknipst, das hell, statisch und ohne Geheimnisse ist. Da hat es Rainer Kühns Inszenierung, die die Vorgaben des Stückes ohne größere Eingriffe umsetzt, schwer, nicht ihrerseits flach zu wirken. Die Schauspieler mühen sich erkennbar: Zeljka Preksavec als aufgetakelte Mutter liefert sich Schrei-Duelle mit Thomas Büchel als Jack, Tochter Steph (Petra Kalkutschke) blinzelt und zuckt, wie es sich für einen leicht irren Teenie gehört, und der Nachbar (Justus Fritzsche) ist so waschlappig, wie sein beiger Pullunder vermuten lässt.

Erst im letzten Drittel gibt es intensive Momente. Wenn die schwangere Madeleine sich ausmalt, sie würde rund und runder, bis sie selbst hilflos wäre wie ein Baby. Wenn der Jack murmelt, dass er trotz allem nicht anders kann, als die Welt durch den Arsch der Segeltuchhose des Vaters zu sehen. Plötzlich fühlt man mit den Figuren – gerade weil sie ihre Sehnsucht und ihre Ausweglosigkeit in einem Ton vortragen, der jeden Moment wieder ins Flapsige umschlägt.

Am Ende hat Mamie wider jede Vernunft das Heiratsangebot des spießigen Nachbarn ausgeschlagen, die Zukunft ist düster und der Magen leer. Aber Steph und Oma Tom paddeln in einem Boot und warten weiter, auf etwas Außergewöhnliches, sagt Steph strahlend. Die Lösung ist keine: sie liegt im Imaginären. Hier scheint noch einmal auf, was Hilary Fannins „Wolkenmeer“ bei aller Harmlosigkeit doch auszeichnet: Ein Sinn fürs Surreale, der eine Theaterbühne verzaubern könnte. Elke Buhr

„Wolkenmeer“ von Hilary Fannin. Regie: Rainer Kühn. Nächste Aufführungen: 26., 29. 11., 1. 12., Schauspiel Bonn